Vom Top-Model zur tollen Singer-Songwriterin: Annahstasia legt nach einer „Lektion in Geduld“ ihr beeindruckendes Album-Debüt vor.
von Werner Herpell
Eine Model-Karriere kann für Musiker Segen und Fluch zugleich sein. Zum einen weiß man sich nach Laufsteg- und Fotosession-Erfahrungen auf großer Bühne zu präsentieren und zu bewegen. Zum anderen heißt es seitens des neuen Publikums oft (vor)schnell: Ist das das nicht alles nur Oberfläche, warum muss der oder die nun auch noch unbedingt singen? Bei Annahstasia Enuke, die ihren Vor- als Künstlernamen gewählt hat, wird man diese kritischen Fragen nicht mehr stellen, sobald man ihre fabelhaften Vocals und ihre sehr ernsthaften, zu Herzen gehenden Lieder gehört hat.
Zwischen Folk, Soul, Pop und Jazz
Mit „Tether“ erscheint nach diversen EP-Anläufen und Konzerten das erste reguläre Studioalbum der vor 30 Jahren geborenen Sängerin, die sich in den elf Stücken stilistisch irgendwo zwischen Folk, Soul, Pop und Jazz positioniert – also in einem ziemlich überlaufenen Mix-Genre. Da braucht es schon gute Gründe, um den vielen gediegenen Songwriter-Platten noch eine weitere hinzuzufügen, beziehungsweise um einer weiteren Musikerin mit anmutigen, sanften Liedern zuzuhören. Bei Annahstasia gibt es jede Menge gute Gründe.
Wenn man ihren Namen bei Google sucht, was wegen der ungewöhnlichen Schreibweise nicht allzu kompliziert ist, stößt man rasch auf Model-Bilder einer schönen Afroamerikanerin (Enuke hat auch nigerianische und deutsch-polnische Wurzeln). „Sie wurde bereits in Magazinen wie V Magazine, Paper, L’Officiel, Dazed, Office, Into The Gloss und Flaunt Magazine vorgestellt“, heißt es etwa auf der Casting-Website Mint Artist Management. Und dass die Musikerin Annahstasia bereits 2019 ihre Debüt-EP „Sacred Bull“ veröffentlichte und im Sommer desselben Jahres als Support für Lenny Kravitz tourte.
Intensität in reduzierten Arrangements
So weit, so gut – aber wie ist nun „Tether“ geworden, abgesehen von den erwähnten „good looks“ auf dem Cover und dem eindrucksvoll dunklen Gesang? Dies ist keine Platte, die den Hörer im Sturm erobern will – ein Vergleich mit der stimmlich ähnlich veranlagten Lady Blackbird und ihren euphorisch zwischen Jazz, Soul und Gospel oszillierenden „Slang Spirituals“ passt also nur so mittel. Annahstasia ist eher eine zurückhaltende Sängerin, die ihre Intensität in reduzierten Arrangements entwickelt. Aber dann packt sie einen umso kraftvoller.
„Meine Karriere war eine Lektion in Geduld“, sagt die schon vor über zehn Jahren fürs Modeln entdeckte und bald weltweit erfolgreiche Künstlerin. Sie wurde laut PR-Info aber auch vom „Druck einer Branche getrieben, die ihre größten Stärken fast erstickte“ – also ihr Songwriting und ihren Gesang. „Es gibt Gesangsstimmen mit so intensivem Ausdruck und Timbre, dass sie weit über sich hinausweisen und nahtlos an die großen Stimmen der Musikgeschichte anknüpfen“, schwärmte der Hamburger Club „Kampnagel“ schon vor einem Jahr in einer Konzertvorschau. Man müsse bei Annahstasia „wegen der Intensität, Verletzlichkeit und vokalen Dynamik unweigerlich an Nina Simone, Roberta Flack oder Tracy Chapman denken“.
Annahstasia mit breitem Stil-Spektrum
Lieder wie das zärtlich-folkige „Be Kind“, das opulenter produzierte, geradezu feierliche „Villain“, das tolle Duett „Slow“ mit dem neuen nigerianischen Superstar Obongjayar, die hauchfeine Ballade „Satisfy Me“ und der rockige, gegen Ende gospelige Closer „Believer“ zeigen das breite stilistische und vokale Spektrum einer Sängerin, die als „Kleiderständer“ für den Laufsteg tatsächlich viel zu schade ist. „Ich habe die Kraft meiner Stimme als Medium erkannt“, sagt Annahstasia. Diese sei „in der Lage, den emotionalen Raum um mich herum zu gestalten“. Recht hat sie. Von dieser Sängerin werden wir bestimmt noch viel Gutes hören – erst recht, wenn sie beim Songwriting stärker als auf „Tether“ ein eigenes Profil entwickelt.
Das Album „Tether“ von Annahstasia erscheint am 13.06.2025 auf Drink Sum Wtr. (Beitragsbild: Albumcover)