Angelika Express: Letzte Kraft voraus – Albumreview

 

Scheißen nicht auf deutsche Texte

Der Pressetext von Angelika Express zum neuen Album „Letzte Kraft voraus“ liest sich ein bisschen, wie der Einstieg in einen dystopischen Groschenroman: Ein traumhafter Spätsommertag in Köln-Mülheim, die 5 Damen und Herren von Angelika Express sonnen sich auf den Betonstufen am Wiener Platz. Ein Un-Ort von erlesener Tristesse.“ Wer den Wiener Platz in der Rheinmetropole Köln kennt, weiß was gemeint ist. Hier ist viel los: gesellschaftlich, politisch, kulturell. Die Einleitung des Pressetextes gibt somit bereits einen zusammenfassenden Einblick in das neue Werk der Künstler.

Allem Voran enthält er aber die Kampfansage: „Es geht jetzt darum, ob und wie Rebellion noch möglich ist. Es geht darum, diese gottverdammte Alternativlosigkeit aufzubrechen“, so die Band. Mit Songs wie „Comeback im Dreck“, oder “Geboren in der BRD“ wird dann auch schnell klar, dass die kölschen Musiker*innen nicht die jecken Töne der Domstadt anstimmen, die dort seit dem 11.11. um die Häuser schallen. Sie veröffentlichen mit der neuen LP bereits ihr achtes Werk. Seit 2002, als sie mitunter die Ersten waren, die ihre Songs online zur Verfügung stellten, gab es dementsprechend viel Veränderung in der Welt und der Band. Ihre Musik wuchs mit den Jahren, denn während zu Beginn Alltagssituationen Inhalte ihrer Songs waren, wurden die Alben reifer, ohne den punkig-flapsigen Stil zu verlieren, der ihr Markenzeichen ist.

Sounds & Books_Angelika Express_Letzte Kraft voraus_CoverEine Zeit lang gingen einige Mitglieder von Angelika Express ihre eigenen Wege, die Band formierte sich neu, Soloprojekte wurden gegründet, manche spielten in vollkommen anderen lokalen Zusammenschlüssen z.B. bei den Bands Klee oder Neuser. Nun holen sie sich auf dem neuen Album auch Verstärkung im Sinne des kölschen Klüngels mit Suzie von Klee und Jörkk Mechenbier von Love A ins Boot. Die Paarung gelingt. „Letzte Kraft voraus“ nämlich ist pure Power, redet nicht lange um den heißen Brei herum und Wörter wie „Scheiße“ oder „Arsch“ werden nicht weggepiept. Wer nun aber denkt, das Album ist durch diverse Kraftausdrücke einfach nur vulgärer, nichtssagender Midlife Crisis-Urschleim, der täuscht sich gewaltig.

Die immerhin 15 Songs der Platte sind politisch und gesellschaftlich, schlaue Botschaften von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt. Rotzig, cool, melodisch, ganz nach persönlichem Geschmack nimmt „Letzte Kraft Voraus“ mit auf einen Ausflug zu den Wurzeln des Punk, allerdings mit frisch gewachsten Doc Martens und stets mit einer charmanten Portion Selbstironie. Zum Titel der Platte sagt der Frontmann Robert Drakogiannakis übrigens, während er sein Eis schleckt: „Mir ist aufgefallen, dass immer mehr Leute permanent auf dem Zahnfleisch gehen, so ein diffuser Ausnahmezustand als Normalzustand in Beruf, Beziehung, Politik. Das kann nicht ewig weitergehen. Die Dinge steuern auf einen Nullpunkt zu, darüber will ich singen.“ 

Recht hat er und die Intention der Platte ist dann auch nicht allzu kryptisch. „Letzte Kraft voraus“ ist alte Schule mit Türöffner-Effekt, bestückt mit innovativen Ideen, die selbst den letzten Couchpotato hinter dem Ofen zum Pogen hervorlocken. Am Ende bleiben nur zwei Fragen offen: Wie heißt denn nun eigentlich dieser Kaiser von Köln? Und: Warum gibt es nicht wirklich Städte aus Vinylbeton? Vielleicht werden Angelika Express diese und andere Frage auf der kommenden Tour nochmal aufgreifen und wenn nicht, auch scheißegal. Es rockt trotzdem. „Letzte Kraft voraus“ ist das Winteralbum des Jahres 2017, ein Muss für Indie-Punk-Liebhaber und jene, die es noch werden wollen. In diesem Sinne ein herzliches: Ahoi Angelika Express und letzte Kraft voraus!

„Letzte Kraft Voraus“ von Angelika Express erscheint am 17.11.2017 bei  Unter Schafen Records. Die Erstpressung des Albums kommt auf rotem Vinyl und enthält eine Bonus 10“ mit acht weiteren Songs. Darunter alte Angelika-Hits remastered, neu gemischte Stücke und Unveröffentlichtes.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Kommentar schreiben