Andrew Bird Trio: Sunday Morning Put-On

Andrew Bird credit Alexa Viscius

Darf der das? Bei Andrew Bird, der jetzt im Trio mit einigen wenigen Gästen Jazz-Klassiker covert, stellt sich diese Frage nicht. Der Mann darf eigentlich alles.

von Werner Herpell

Gegen Pop- und Rockmusiker, die sich über Jazz-Standards hermachen, sprechen mindestens zwei Dinge. Erstens ist der Sprung über den Genre-Zaun ein riskanter, manch aufstrebender oder etablierter Charts-Topper fiel dabei schon kräftig auf die Nase (Ausnahmen wie Rickie Lee Jones bestätigen nur die Regel). Zweitens fragt man sich, wozu überhaupt die ganze Crossover-Mühe – gibt es doch bereits Hunderte Versionen dieser hinlänglich bekannten Stücke, darunter viele verdammt gute. Und wer kann schon gegen Ella Fitzgerald oder Frank Sinatra oder Billie Holiday anstinken, wenn es um die Interpretation ikonischen US-Liedguts geht.

Nie glatt und vorhersehbar

Andrew Bird Sunday Morning Put-On Cover

Womit wir bei

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Andrew Bird wären, der nun im Trio mit Ted Poor am Schlagzeug und Alan Hampton am Bass seine Lesung klassischer Songs von Cole Porter, Duke Ellington, Lerner & Loewe, Rodgers & Hart und anderen herausbringt. Der 50-jährige Musiker und Schauspieler („Fargo“) darf das, was er hier mit zehn aufs Äußerste reduzierten Tracks anstellt, nun wirklich. Denn nicht nur hat er eine klassische Ausbildung als Violinist. Er ist auch bei seinen teilweise bis hoch in die US-Albumcharts führenden Ausflügen zu Folkrock und Songwriter-Pop (zuletzt mit „Inside Problems“) nie glatt und vorhersehbar geworden, wirkt eigentlich immer ein bisschen wie ein Improvisator. Und um Improvisation geht es ja nun mal beim Jazz.

„Sunday Morning Put-On“ ist Birds überzeugende Liebeserklärung an die Musik der Jahrhundertmitte, ans Jammen in kleinen Gruppen und an das Great American Songbook. Wenn er also die wunderbare Ballade „I Fall In Love Too Easily“ anstimmt, denkt man zwar an Chet Bakers berührende 50s-Version dieses Songs mit sanft-fragilen Vocals, Trompete und Streichern, aber es klingt nie nach Pastiche oder gar Plagiat. Dabei bürstet Bird das Material auch nicht allzu sehr gegen den Strich, wie es womöglich ein Tom Waits tun würde, sondern interpretiert diese herrlich zeitlosen Lieder mit Zartgefühl und eigener Note.

Erinnerungen an Jazz in einem Chicago-Hotel

Der Sänger, Gitarrist, Mandolinist und kunstfertige Whistler (der Nachname passt so dermaßen!) hat seine Liebe zum Jazz seit 30 Jahren immer weiter entwickelt. Bird erinnert sich an seine Twen-Zeit in einem alten Apartment-Hotel im Edgewater-Viertel von Chicago:

„In den meisten Samstagnächten blieb ich auf und hörte von 0 bis 4 Uhr morgens eine Radiosendung namens ‚Blues Before Sunrise‘ auf WBEZ. Der DJ Steve Cushing spielte alte, seltene 78rpm-Platten mit Blues, Jazz und Gospel. Dann schlief ich ein paar Stunden und wachte zu Dick Buckleys Sendung auf, die ebenfalls auf WBEZ lief und in der er Jazz aus der ‚Goldenen Ära‘ der 30er und 40er Jahre spielte. Meine Vorliebe für eine bestimmte Ära des Jazz bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich in meiner eigenen Arbeit, die zum größten Teil überhaupt nicht aus Jazz besteht, immer wieder verändert. Sobald ich etwas Abstand zu dieser Zeit gewonnen hatte, in der ich in ihrem Bann stand, wollte ich wieder in sie eintauchen.“

Andrew Bird Trio mit wunderschönem Jazz-Folk

Produziert von Andrew Bird selbst und komplett live aufgenommen in den südkalifornischen Valentine Studios, wird das Trio auf „Sunday Morning Put-On“ perfekt ergänzt durch Jeff Parkers Gitarrenspiel und Larry Goldings Klavierkünste. Im Mittelpunkt stehen aber Birds Stimme und seine Violine. „Er spielt seine Geige wie ein Horn und singt viel mehr, als er erwartet hat, und verfeinert so eine Virtuosität, die auf seinen früheren Alben immer vorhanden war, aber mit zusätzlichen Schichten von Können und Sehnsucht in den Vordergrund tritt“, beschreibt sein Label Loma Vista diesen virtuosen Auftritt, der mit einer gut neunminütigen, improvisationsstarken Instrumentalfassung von „Ballon de Peut-etre“ endet.

Fazit: „Sunday Morning Put-On“ ist ein wunderschönes Jazz-Folk-Album, das sich zum Runterkommen bei einem Glas Rotwein um Mitternacht ebenso eignet wie als beschwingter Muntermacher am Sonntagmorgen.

Das Album „Sunday Morning Put-On“ vom Andrew Bird Trio erscheint am 24.05.2024 bei Loma Vista Recordings/Concord/Universal.

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