Im zehnten und vorletzten Band der „Ortsumgehung“ pendelt Andreas Maier zwischen Gut und Böse
von Gérard Otremba
Den Teufel führt Andreas Maier im ersten Satz gemeinsam mit dem lieben Gott ein und verweist damit bereits auf den Titel des die „Ortsumgehung“ abschließenden Bandes („Der liebe Gott“). Was vor fünfzehn Jahren mit „Das Zimmer“ begann, neigt sich in dem größtmöglichen Gegensatz dem Ende zu. Dem Gegensatz zwischen Gut und Böse, auf dem der neue Roman von Maiers autofiktionaler, epochaler und grandioser Chronik „Ortsumgehung“ basiert. Im Nachfolgeband seines vor zwei Jahren erschienenen Romans „Die Heimat“ kehrt Andreas Maier zunächst in die Kindheit zurück. In eine vom allgegenwärtigen Fernseher geprägte Kindheit zu Beginn der 70er-Jahre.
Maiers Dichotomie
Häufig ist das Kind im Vorschulalter krank, schon morgens läuft die Glotze mit der Auswirkung schlechter Augen, die viel später zur Ausmusterung führen. Schon früh im Roman führt Andraes Maier die Dichotomie als elementares Motiv ein. Sind es in früher Kindheit Fernsehsendungen, die Maiers erzählendes Alter Ego als verzichtbar („Frühnachmittagsserien und Wochenendvormittagsserien“) und als „gottesdienstähnliche Termine“ („Augsburger Puppenkiste“) kategorisiert, kommen im Verlauf weitere Entweder-Oder-Aufteilungen prägender Natur ins Spiel, sei es die getrennte Religion von katholischen und evangelischen Schülern, sei es der Zwiespalt zwischen SPD- und CDU-Kindern oder die Gruppenzugehörigkeit nach Musikvorlieben in Rocker-(Led Zeppelin, Deep Purple, AC/DC) oder Popper-Fraktion (Spandau Ballet, ABC, Roxy Music). Maiers Blick zurück gerät indes nie zu einer bitterbösen Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit. Meist schwingt ein humoristischer Schalk im Nacken des 1967 geborenen Schriftstellers mit.
Andreas Maier und die Politisierung
Maiers Rückschau reicht in „Der Teufel“ von den 70ern über die 80er bis hin in die 90er hinein, in die Zeiten des Jugoslawien- und Irak-Kriegs. Das Private und das Politische gehen thematisch Hand in Hand. Bei Besuchen von Tante Lenchen aus der DDR oder in der Beziehung zur Freundin A. während der Politisierung der eigenen Person im mittleren Teenageralter: „Wir lasen zu der Zeit Svende Merian, Der Tod des Märchenprinzen. Das war in Friedbergs linksalternativen Kreisen angesagt. Links, das war das Gegenteil von rechts. Wir waren links.“ Ein weiteres Beispiel für die von Maier angewandte Dichotomie, die sich als roter Faden durch den Roman zieht. Auch Maiers liebevoller Umgang mit einzelnen Personen kommt in „Der Teufel“ ganz besonders zur Geltung und erfährt in der Beschreibung seines geistig eingeschränkten Onkels J. während des Todestages von Maiers Großmutter seinen Höhepunkt:
„Ich glaube, er hielt sich auch in diesem Moment für den Unwichtigsten von allen, die im Raum waren. Und seine Trauer für am unwichtigsten. Er, der Wertloseste von allen, der es immer abgekriegt hatte. Es war die einzig wahre Person im Raum. Er war immer wahrer als alle Menschen um ihn herum.“
Erinnerungspflege
Es sind die genauen, kleinen und feinen Beobachtungen Maiers, die seine Wetterau-Chronik auch im elften Band noch immer zu einem literarischen Hochvergnügen werden lassen. Die Familiengeschichten eingebettet im Weltgeschehen. Auch wenn sich die geschilderten Zeiten in einzelnen Büchern überschneiden, fallen Andreas Maier immer weitere Details aus der Familienhistorie ein. Die eigenen Erinnerungen am Leben erhalten, mit Fiktion und Realität spielen, darin hat Maier längst die Meisterprüfung abgelegt. Wir folgen ihm in seinem literarischen Schaffen weiterhin gerne und warten geduldig auf den letzten Chronik-Band „Der liebe Gott“.
Andreas Maier: „Der Teufel“, Suhrkamp, Hardcover, 247 Seiten, 978-3-518-43231-0, 25 Euro. (Beitragsbild von Jan Plaumann)