Andreas Maier: Der Kreis – Roman

Die sprachliche Ästhetik des Andreas Maier

von Gérard Otremba

Andreas Maier erinnert sich. An seine Kindheit und Jugend in der Wetterau. Seine Werkschau nennt er Ortsumgehung. „Der Kreis“ ist nach „Das Zimmer“, „Das Haus“, „Die Straße“ und „Der Ort“ der fünfte Teil des auf elf Bände angelegten autobiographischen Romanzyklus. In der Ich-Perspektive fabuliert der 1967 geborene Schriftsteller zunächst über seine Grundschulzeit in Friedberg vor den Toren Frankfurts, in der er die Liebe zu Wort und Sprache im kleinen Bibliotheksraum seiner Mutter entdeckt und eine große Affinität zu dem Namen Teilhard de Chardin entwickelt. Der Name des französischen Wissenschaftlers und Theologen wird von seiner Mutter, die zwar Korrespondenzen Intellektuellen und, weil in der Familie nicht möglich, „geistige“ Gespräche mit dem ortsansässigen Schriftsteller führt, als „Theo Düschadeng“ ausgesprochen, so dass ihr kleiner Sohn den Bezug zum Autor nicht  herstellen kann. Im Klavier, ohne es zu spielen, findet der Ich-Erzähler bald eine neue Muse.

Das Klavier, allein mit mir, war ein Phänomen der Stille, und der Raum um es herum hatte diese Durchwehtheit, die ich aus dem Bücherzimmer meiner Mutter kannte.

Mit der sakralen Ruhe ist es indes wenig später vorbei, ersetzt doch in der gymnasialen Unterstufenzeit das Plattenhören, die Rock-Pop-Musik, die Buchmanie.

Das Wesen, das ich lange Zeit im Bücherzimmer meiner Mutter vermutet hatte und dessen Existenz mir einstmals fast gewiß war, jenes Wahrheits- und Eigentlichkeitswesen, schien jetzt jeden Tag zu mir zu kommen, wenn auch in anderer Gestalt als noch vor zwei, drei Jahren in der Bibliothek: nämlich als Rock- und Popmusik.

In dieser Phase entdeckt der Erzähler die Faszination des Schlagzeugs, dessen Aura er beim jüngeren Bruder eines Freundes seines älteren Bruders findet und ihm das Klavier als musikalischen  Bezugspunkt ersetzt. Zu diesem Zeitpunkt hängt er mit der musikaffinen Clique seines Bruders rum, die ihn zu einem sehr lauten ersten Rock-Konzert (der Bandname wird nicht verraten) im Alter von dreizehn Jahren in die Frankfurter Festhalle mitnimmt. Es ist der krönende und vorläufige Höhepunkt der neuen Begeisterung. Eine Passage, die häufigen  Rockkonzertbesuchern nicht ganz unbekannt vorkommen sollte, von Andreas Maier emphatisch, detailliert und nachvollziehbar beschrieben.

Wenig später folgt dann in der Mittelstufe die Hinwendung zum Theater, als Beobachter einer Schulaufführung mit dem vier Jahre älteren, später berühmten Schauspieler Thomas Heinze. Das ist die große Kunst Maiers, alltäglich Erfahrbares, für jeden Bekanntes in sprachlich versierte Formen zu gießen. Der mit diversen Literaturpreisen ausgezeichnete Andreas Maier ist ein Sprachästhet, der Distanziertheit und Leidenschaft stilistisch verbindet. Seine makellose, realistische und identitätsstiftende Prosa ist nach wie vor ein literarischer Hochgenuss, durchzogen von feinstem Humor.

Andreas Maier: „Der Kreis“, Suhrkamp, Hardcover, 149 Seiten, 978-3-518-42547-3, 20 €.

 

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