André Kubiczek: Skizze eines Sommers – Roman

Eine meisterliche, heiter-melancholische und federleichte Komposition

von Gérard Otremba

Der Berliner Schriftsteller André Kubiczek, der 2002 mit Junge Talente debütierte, entführt den Leser in seinem neuen Roman Skizze eines Sommers in das Potsdam des Jahres 1985. Für den just 16 Jahre jung werdenden Ich-Erzähler René beginnen die letzten großen Sommerferien in alter Umgebung, muss er doch anschließend auf ein Internat nach Halle, um „die ‚Organisation der materiell-technischen Basis‘ zu studieren. So ähnlich jedenfalls nannte sich das, aber der vollständige Name war noch viel, viel länger, sodass ich erst nachgucken müsste, um hier nicht zu lügen.“ Doch zunächst hat René sturmfreie Bude, denn sein Vater (die Mutter ist unlängst verstorben) darf mit einer DDR-Delegation zu Abrüstungsgesprächen in die Schweiz fahren. Trotz Geburtstag und 1000 Mark in der Tasche, die ihm sein Vater für die zwei Monate zur Verfügung stellt, überfällt René die Melancholie.

Das verwundert jedoch nicht, gehört er mit seinen beiden Freunden Dirk und Michael durchaus zu den Außenseitern, tragen sie doch alle schwarze Klamotten, lesen die Blumen des Bösen von Baudelaire und geben sich betont dekadent. Zu seinen besten Kumpeln gehört noch sein Nachbar Mario, der von seinem libanesischen Vater den dunklen Teint geerbt hat, dadurch mächtig Schlag bei den Mädels hat und ständig mit neuen Freundinnen auftaucht. Seine aktuelle heißt Connie, deren gute Freundin Bianca   für René durchaus eine „Augenweide“ ist, von ihr auch sofort angehimmelt wird, doch ungünstigerweise hat sich René eigentlich in „Fritzis große Schwester“ verguckt, die ihm ihren Namen noch nicht verrät, die aber aufgrund ihrer traurigen Erscheinung und dem Musikgeschmack viel besser zu ihm passt, als die angehende Friseuse Bianca.

Leider verabschiedet sich die schöne Unbekannte in die Ferien und René lässt sich auf Bianca ein, während Dirk und Michael um die intellektuelle Künstlertochter Rebecca buhlen. Auf einer Party bei Rebeccas Eltern soll René entscheiden, wer nun der Passendere von den beiden für die Angehimmelte ist. So lernt René den Männerschwarm kennen und verspürt einen sofortigen Draht zu Dirks und Michaels Flamme, geschwisterlich zwar, aber beide wissen, es könnte mehr sein. Wie soll René da nicht melancholisch werden, wenn er plötzlich Gefühle für drei Frauen entwickelt? Eines Tages sind dann bis auf Mario alle auf Reisen und auch René ändert seine Pläne und sagt den geplanten Besuch bei seinen Großeltern ab und fährt mit Mario aufs Land, Connie besuchen.

Skizze eines Sommers von André Kubiczek ist ein herrliches Vergnügen. Geradezu spielerisch versteht es der 1969 in Potsdam geborene Autor, die jugendliche Unschuld einzufangen, die auch in der DDR der 80er Jahre möglich war. Dieser Roman verströmt einen ähnlichen Charme, wie es Herrndorfs Tschick und Salingers Der Fänger im Roggen tun. Ihn zeichnet  eine heiter-melancholische Unbeschwertheit aus und es ist der große Verdienst André Kubiczeks, die Atmosphäre des Jahres 1985 und der Schwärmerei der damaligen Jugend perfekt einfangen zu können. Man muss nicht in der DDR aufgewachsen sein, um von diesem Roman begeistert zu sein, schließlich schaut René sich wie viele seiner Altersgenossen im Westen auch, die damalige Musiksendung Formel Eins sowie die Übertragung von Live Aid an und besucht die örtliche Vorstadtdisco.

Die „richtige“ Musik ist natürlich ein ungemein wichtiger Faktor dieses Buches, war es doch die Zeit, in der man, wie René, geliebte Menschen anderen Geschlechts mit einer Mixed-Kassette beschenkte und geht außerdem der Titel des Romans auf den Song „Sketch For Summer“ von Durutti Column zurück. Die zauberhafte romantische Teenagerliebe zwischen René und Victoria („Fritzis große Schwester“) gehört zu den rührendsten Liebesgeschichten in der zeitgenössischen deutschen Literatur. Die Dialoge in Skizze eines Sommers sprühen vor Witz, die Charaktere sind aus dem Leben gegriffen und der Running Gag mit den sieben Napoleon-Cognac-Flaschen von Renés Vater ein brillanter Einfall. Skizze eines Sommers von André Kubiczek ist eine meisterliche, magische, beschwingte und federleichte Komposition, die den Sommer 1985 für immer unvergessen macht. Wie der schönste perlende Gitarren-Pop von The Go-Betweens und für Sounds & Books der Geheimfavorit für die Shortlist des Deutschen Buchpreises.

André Kubiczek: „Skizze eines Sommers“, Rowohlt Berlin, Hardcover, 384 Seiten, 978-3-87134-811-2, 19,95 €.

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Kommentare

  • <cite class="fn">Eva Jancak</cite>

    Darf ich eine kleine Korrektur anbringen, Marios Freundin heißt Connie, Sonja ist die Chilenin, die am Eingang vor der Disco steht und die Freunde an der Schlange vorbeiwinkt, Renes Kindergartenfreundin.
    Mir hat das Buch auch sehr gut gefallen, wahrscheinlich weil ich mich sehr für die DDR interessiere und im Sommer 1985 zufälligerweise auch für ein paar Stunden in Potsam war.
    Es ist für mich eine sehr dicht skizziertes Psychogramm eines Jugendlichen, der die Schule verläßt, sich für das Rauchen und die Mädchen interessiert und der und das ist das Spannende sein Leben auch in der DDR genießen kann.
    Trotz anderslautender Meinungen ist es für mich auch ein Buch über die DDR und da gefallen mir gerade die subtilen Anspielungen und der Witz mit dem der Sechzehnjährige damit umgeht.
    Ob er das im wahren Leben auch zusammenbrachte und, ob die Lehrer damals die „dekatenten Baudelaire-Leser“ wirklich ungeschoren ließen, sei dahingestellt.
    Es gibt Bücher, die das Gegenteil beschreiben, aber schon die Szene mit dem Buch, das die Volksbuchhändlerin mürrisch aus seiner Glashülle schrauben muß, fand ich köstlich und auch die, wie sich die Staatsüpolizisten bei den Nachbarn der Familie erkundigten, bevor der Vater in die Schweiz reisen darf.
    Spannend, spannend, leicht zu lesen und dicht erzählt, mir hat es gefallen und ich habe sogar das pubertäre Balzuverhalten der rauchenden Jungs ausgehalten, während ich bei den vielen Midlifephantasien einiger anderer LL-Bücher schon meine Schwierigkeiten hatte.
    https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/10/09/skizze-eines-sommers/

  • <cite class="fn">Silvia</cite>

    Hatte ich auch schon ohne Buchpreisliste auf meiner Agenda. Jetzt rückt es noch weiter nach oben!

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