Gute Songs, berührende Stimme: Auch das zweite Album von Amythyst Kiah überzeugt
„Our Native Daughters“, das 2019 an den Start gegangene „politisch motivierte Human Rights-Gesangsquartett“ (Ullrich Maurer auf gaesteliste.de) bestehend aus den vier schwarzen amerikanischen Roots-Musikerinnen Rhiannon Giddens, Leyla McCalla (beide auch The Carolina Chocolate Drops), Allison Russell (Birds Of Chicago) und eben Amythyst Kiah, zelebrieren gerade äußerst produktive Wochen: Innerhalb kürzester Zeit erschienen das erste, sehr empfehlenswerte Soloalbum von Russell, das zweite Duo-Album Giddens‘ mit ihrem Partner Francesco Turrisi (Rezension hier) sowie nun das zweite Solo-Albums Kiahs nach „Dig“ 2013. Kiah lieh ihre Stimme außerdem Moby bei seiner kürzlich erschienen Sammlung von Neu-Einspielungen seiner Klassiker. Mit Dave Hause veröffentlichte sie eine Soli-Single nach dem Tod von George Floyd.
Die vielseitig begabte Amythyst Kiah
Wie ihre Kolleginnen bei den Our Native Daughters ist Kiah vielseitig begabt, was an ihrer Sozialisation liegen mag: Aufgewachsenen in einem mehrheitlich weißen Umfeld in Chattanooga und geprägt von MTV sowie dem dort zeitweise inflationär gezeigten Alternative Rock, war ihr Instrument die Gitarre, bevor sie im Zusammenspiel mit College-Kollegen immer mehr begann ihre Stimme zu entdecken. Ein Mentor brachte sie mit der Kultur der Appalachen in Kontakt und verwies auf die westafrikanischen Wurzeln des Bluegrass, was ihr Interesse an Roots-Music schärfte und sie das Banjospiel erlernen ließ. „Wary + Strange“ erscheint nun auf Rounder Records, dem Label schlechthin für US-Folk, Blues & Americana: mehr als verdient, nachdem ihr Beitrag bei den Our Native Daughters, „Black Myself“, sogar für einen Grammy nominiert wurde.
Eine angepisste Songwriterin
„Black Myself“ ist ebenfalls auf „Wary + Strange“ vertreten, in einer harscheren, gitarrendominierenden Version, das damit nicht nur viel wütender klingt, sondern ebenso ihren persönlichen Wurzeln Tribut zollt. Überhaupt ist Kiah oft angepisst, selbst wenn sie wie in „Soapbox“, dem Opener wie auch Schlusslicht des Albums, sanft und bezaubernd „‘Cause I don’t care what you think“ säuselt. Gründe dafür gibt es genug: Ihre Mutter beging Suizid („Wild Turkey“ beschreibt ihre Bemühungen, mit dieser Tatsache fertig zu werden), der Griff zur Flasche scheint allgegenwärtig („Tender Organs“, „Hangover Blues“) und das Dasein als schwarze LGBTQ+ Frau ist wohl ebenso kein Quell ewiger Lebensfreude, vor allem nicht im Süden der USA.
Moderne Roots-Music
In Szene gesetzt wurde ihr Werk mithilfe einiger Megacracks der US-Musikerszene: Neben dem Cellisten wie Komponisten Gabe Noel, der zwischen Kenny Loggins und Kendrick Lamar zentnerweise Reputation vorzuweisen hat, hört man die nicht minder kompetenten Ethan Gruska (Phoebe Bridgers, Perfume Genius), Blake Mills (Conor Oberst, Lana Del Rey), Rich Hinman (Tuck & Patti, Sara Bareilles) sowie Wendy Melvoin (Prince, Wendy & Lisa). Ein paar Pfunde, die man vielleicht auch vernachlässigen kann, wie Amythyst Kiah im aktuellen Musik Express berichtet: Als z.B. Wendy Melvoin das Studio betrat, war Kiah schon längst raus und fertig.
Vom prominenten Feinschliff, der vom Produzenten gebucht wurde, wusste sie gar nichts. Glücklicherweise kann man trotz solcher Engagements nicht von einem überproduzierten, verwässerten Werk sprechen – dazu sind die Songs allesamt viel zu gut, ihre Stimme viel zu berührend. Dass man hier nicht mehr von originärem Bluegrass sprechen kann (den man auf „Dig“ weit häufiger zu hören bekam), ändert an dieser Tatsache nichts. Roots-Music kann so auch modern klingend ansprechen und für die Extraportion Schweiß und Tradition freuen wir uns auf Live-Besuche.
„Wary + Strange“ von Amythyst Kiah erscheint am 18.06.2021 bei Rounder Records. (Beitragsbild von Sandlin Gaither)
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