Amor Towles: Lincoln Highway

Amor Towles Lincoln Highway Cover Hanser Verlag München

In „Lincoln Highway“, einem der besten Romane des Jahres, erzählt Amor Towles eine vortreffliche Abenteuergeschichte und Roadnovel

Der 1912 erdachte, am Times Square in New York beginnende und am Lincoln Park in San Francisco endende „Lincoln Highway“ war die erste Coast-to-Coast-Straße der USA. Der Highway verbindet die nördlichen US-Bundesstaaten und wird im Juni 1954 für den achtjährigen, arglosen und sehr klugen Billy Watson zur Route der Verheißung, hofft er doch aufgrund eines Postkartefundes seine Mutter, die die Familie einige Jahre zuvor von heute auf morgen verlassen hat, in Kalifornien zu finden. Seinem zehn Jahre älteren Bruder Emmett sind nach dem Krebstod des Vaters die restlichen Monate einer Jugendstrafe erlassen worden und zwecks eines Neuanfangs wollen sie just die Reise von Nebraska mit einem Studebaker antreten, als zwei Kumpel Emmetts aus der Jugendbesserungsanstalt unerwartet bei ihnen auftauchen.

Amor Towles schreibt in der Tradition von Mark Twain, John Steinbeck und John Irving

Amor Towles Lincoln Highway Cover Hanser Verlag München

Der durchtriebene Duchess, Sohn eines fahrenden Shakespeare-Schauspielers sowie der „gemütskranke“, aus betuchtem Haus stammende Woolly, verfolgen ganz andere Pläne, spricht doch Letzterer stets von einer Erbschaft von 150 000 Dollar, die er zu teilen gedenkt. Ihr Ziel ist New York City, und um es zu erreichen, durchkreuzt Duchess mit einigen Tricks Emmetts und Billys Vorhaben. In seinem neuen Roman greift der 1964 in Boston geborene Amor Towles Homers „Odyssee“ auf und in der Tradition von Mark Twain, John Steinbeck, John Irving und Scott Bradfield erzählt er eine vortreffliche Abenteuergeschichte und Roadnovel. Towles wählt einen zeitlichen Rahmen von nur zehn Tagen für seinen auf knapp 600 Seiten ausgebreiteten Plot, in dem Halunken, rechtschaffene Menschen und die Mythen Amerikas im Mittelpunkt stehen.

Towles arbeitet mit Perspektivwechsel und widmet die einzelnen Kapitel den jeweiligen Protagonisten, zu denen u.a. noch Emmetts selbstbewusste Nachbarin Sally sowie Professor Abacus Abernathe gehören, dessen „Kompendium von Helden, Abenteurern und anderen unerschrockenen Reisenden“ Billys Lieblingsbuch ist und als Synonym für diesen prächtigen Roman steht.

„Lincoln Highway“: Ein brillant erzählter Roman

Zu weiteren schillernden Nebenfiguren zählen Pastor John, ein windiger Bursche, der nichts Gutes im Schilde führt sowie der nach Frau und Kind suchende, schwarze Ulysses. Jenseits irgendwelcher Gender-Race-Debatten erweist sich Amor Towles als brillanter Erzähler einer starken Story. „Lincoln Highway“ entpuppt sich als Lesegenuß pur. Ein literarischer Pageturner, in dem Towles die Themen Schuld, Sühne, offene Rechnungen und auch Rache in nonchalanter Art behandelt. Ein  wendungsreicher, spannender und witziger Roman eines Autors auf dem vorläufigen Höhepunkt seines Schaffens. An einer relativ frühen Stelle des Romans erklärt Woolly dem in sein Lieblingsbuch vertieften Billy, dass „das Allerwunderbärste wäre“, wenn es „einmal einen einzigartigen Tag gäbe“. Die Protagonisten erleben im Verlauf der nächsten 500 Seiten noch einige wenige dieser einzigartigen Tage. Gönnen auch Sie sich einen solchen und lesen Sie „Lincoln Highway“. Einer der besten Romane des Jahres.

Amor Towles: „Lincoln Highway“, Hanser, übersetzt von Susanne Höbel, Hardcover, 576 Seiten, 978-3-446-27400-6, 26 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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