alt-J: Relaxer – Album Review

 

Im Rausch der Ideen

Ihr Debüt An Awesome Wave war groß, avantgardistisch, genreuntreu, extrovertiert, ungehalten, aber gleichzeitig feingeistig und auch zu zurückhaltend zarten Tönen fähig. Der Nachfolger This Is All Yours war noch größer, die Kompositionen stimmiger, das Album in seiner Ganzheit kohärenter. So eroberten alt-J die britische Musikwelt im Sturm und avancierten mit ihrem eigenwilligen Art-Elektro-Stil zu einer der bedeutendsten Indie-Pop-Bands der Gegenwart. Für ihr neustes Werk Relaxer kamen Joe Newman, Gus Unger-Hamilton und Thom Green zum dritten Mal mit Produzent Charlie Andrew zusammen. Doch anders als der Vorgänger erweist sich Relaxer nicht als harmonisches Ganzes – im Gegenteil: alt-J beschreiten auf ihrem dritten Album derart unterschiedliche Pfade, dass sie sich in der Vielseitigkeit ihres eigenen Klangkosmos mitunter verlieren.

Sounds & Books_alt-J_Relaxer_CoverUnd dafür brauchen die Herren aus Leeds gerade einmal knappe 40 Minuten verteilt auf 8 Tracks. Mit seinem warmen instrumentalen Einstieg und dem Einsetzen des mantrahaften Gesangs hat der Opener „3WW“ etwas Meditatives, doch die hinzukommenden Elemente und Effekte bereiten diesem Eindruck rasch ein Ende. Zwar umschmeichelt einen das sich hineinschleichende verträumte Tastenspiel ebenso wie die Zeilen „I just want to love you in my own language“, doch das anfänglich Hypnotische verpufft mit der zunehmenden Verspieltheit des Songs. Im sich anschließenden „In Cold Blood“ passiert viel: Im Hintergrund meint man knarrende Türen zu vernehmen. Wirre, hämmernde Geräusche füllen die Räume. Spannung entsteht, schaukelt sich hoch und entlädt sich in einer blechernen Klimax. Und sogleich folgt der nächste drastische Bruch, wenn alt-J die Dekomposition und Rekonstruktion des Klassikers „House Of The Rising Sun“ als akustische Slow-Motion-Version präsentieren, wobei sie von 20 Konzertgitarren nebst Streichorchester unterstützt werden.

Die Gänsehaut ist noch nicht verschwunden, doch es bleibt keine Zeit zum Nachspüren. „Hit Me Like That Snare“ schlägt mit Elektro-Rock und Sechzigerjahre-Orgelgewirr zu. Dabei klingt Newman wie ein angetrunkener und leicht irrer Punk-Rocker, der jeden Moment die Kontrolle verlieren könnte. Unter diesem Eindruck wirken die abschließenden Zeilen „Fuck you / I’ll do what I want to do“ fast schon etwas albern. Dennoch entpuppt sich der Song nach mehrmaligem Hören als eine wirklich positive Überraschung. „Deadcrush“ zieht den Hörer wieder in für alt-J typischere Gefilde. Es ist ein atmosphärischer Elektro-Track, cool und mit einem guten Groove.

Danach wird es romantisch: In „Adeline“ verfällt ein Tasmanischer Teufel einer badenden Schönheit. Die Musik dazu ist eindringlich und sphärisch. Die einfühlsame Ballade „Last Year“ widmet sich dagegen dem Ende einer Liebe, bevor mit „Pleader“ der Schlusspunkt gesetzt wird. Dieses Ende stellt den Hörer vor ein Rätsel. Es ist ein Eintauchen ins Symphonisch-Theatralische, mit Streichern, Kirchenorgel und Choral, ein Schwimmen irgendwo zwischen sakraler Kirchenmusik und Film-Soundtrack, eine dramatische Hymne, die zu angestrengt bombastisch und seltsam unentschlossen bleibt.

Die stilistischen Brüche auf Relaxer sind auffällig, nahezu jeder Song ist umgeben von einer eigenen Aura, wodurch das Album gegen seinen Vorgänger hinsichtlich Stimmigkeit und Gesamtkonzept nur verlieren kann. Die Experimentierfreude von alt-J ist dennoch bemerkenswert und zeugt von ihrem immensen Ideenreichtum. Erneut haben die Briten einige wundervolle Tracks erschaffen und man kann einer Band deutlich Schlimmeres vorwerfen als ein Übermaß an Vielseitigkeit.

„Relaxer“ von alt-J erscheint am 02.06.2017 bei Infectious Music / Pias Cooperative.

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