Adam Johnson: Nirvana – Stories

Grenzüberschreitende, aber immer faszinierende Erzählungen des Pulitzer-Preisträgers

von Gérard Otremba

Es verwundert nicht, dass Adam Johnson mit dem National Book Award für seinen Erzählband Nirvana (im amerikanischen Original Fortune Smiles) ausgezeichnet worden ist. Für seinen Roman Das geraubte Leben des Waisen Jun Do erhielt der 48-jährige Schriftseller bereits den renommierten Pulitzer-Preis und seine stilistische Klasse beweist er mit den sechs fabelhaft konstruierten Stories in Nirvana auf ähnliche Weise. Man sollte sich von verführerischen Originaltitel nicht täuschen lassen, denn zu Lachen hat in den Nirvana-Erzählungen nicht wirklich jemand. Adam Johnson überschreitet in seinen messerscharf skizzierten Geschichten die Schmerzgrenze und lässt den Leser häufig mit einem beklemmenden Gefühl zurück. Zwar verbreitet Johnson durchaus einen unterschwelligen Humor, doch bleibt einem der ironische bis zynische Witz fast immer im Hals stecken.

Adam Johnsons Protagonisten hat es teilweise schwer gebeutelt. In der titelgebenden Story leidet Charlotte am Guillain-Barré-Syndrom, ein Nervenerkrankung, die sie seit Monaten bewegungslos ans Bett fesselt. Die Stimme und die Musik von Kurt Cobain geben ihr Halt, während ihr Mann und Ich-Erzähler, nachdem er bereits ein Hologramm des unlängst ermordeten US-Präsidenten programmiert hat, ihr ein eben solches des Nirvana-Sängers erstellt. In „Nonc und Geronimo“ sucht ein UPS-Fahrer nach der Mutter seines kleinen Kindes, die er im Gefängnis findet. In „Interessant!“ rechnet die Ich-Erzählerin sarkastisch mit ihrem vom Brustkrebs gezeichneten Leben ab und in „Mein Freund George Orwell und ich. Eine Geschichte“ wird der ehemalige Leiter der Stasi-Haftanstalt in Hohenschönhausen 18 Jahre nach der Vereinigung mit seiner Vergangenheit konfrontiert, die er sich immer noch schön redet und eine körperliche Folter der Gefangenen in „seinem“ Gefängnis weiterhin vehement abstreitet, obwohl er an den Verhören nie teilnahm.

„Dark Meadow“ ist nicht nur Titel einer weiteren Kurzgeschichte, sondern auch das im Internet verbreitete Pseudonym eines IT-Spezialisten, der fremde PCs mit kinderpornographischen Inhalten repariert und gegen seinen Hang zu Pädophilie kämpft. Einen anderen Kampf trägt der von Nord- nach Südkorea geflüchtete Sun-Ho aus, der mit dem Leben im vermeintlich freien Seoul nicht klar kommt und mit einer waghalsigen Aktion den Schritt zurück in den Norden Koreas wagt. Die Menschen in Adam Johnsons Erzählungsband Nirvana sind verlorene Seelen, deren Ängste und Schmerzen wir beim Lesen habhaft werden. Die Tragik der Figuren verstört den Leser mithin, die stilistisch einwandfreien, meisterhaft komponierten Erzählungen sind jedoch ein literarischer Genuss.

Adam Johnson: „Nirvana“, Suhrkamp Verlag, übersetzt von Anke Caroline Burger, Hardcover, 978-3-518-42500-8, 19,95 €. 

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