Abraxas: Monte Carlo – Albumreview

Abraxas Pressefoto Credit Suicide Squeeze Records

Das Debütalbum von Abraxas ist ein psychedelischer Tanz durch multikulturelle Landschaften

Der Urmythos. Ein mächtiger Dämon. Gebannt auf hellenistischem Zauberpapyrus. Basilides‘ Vision hingegen proklamiert ein Symbol des höchsten Wesens. Unbemerkt und alle Widersprüche vereinend stehe es gar über Schöpfer und Teufel. Ohne Intention, denn es sei das Wirken an sich. Orthodoxe Christen stellen dessen Anhänger als Ketzer an den Pranger. An Malaria erkrankte Menschen drücken ihr Schutzamulett an die Brust und flüstern: „Abrakadabra!“ Carl Gustav Jungs Kopf liegt auf einem Manuskript und träumt von kollektiv unbewussten Archetypen. Wieder wach, ergreift ihn die Eingebung, dass sich der Mensch nur verwirklicht, wenn er diese Urbilder in seinem Bewusstsein integriert. Hermann Hesses Erwachende verehren Basilides‘ Geschöpf aufgrund jener Erkenntnis. Es dient ihnen als Leitfigur für einen angestrebten kulturellen Umsturz. Tanzende Hippies verlieren sich in Santanas Klangwelten. Vor ihren Oberkörpern pendeln an Holzperlenketten befestigte Talismane. Sie zeigen ein Wesen mit Hahnenkopf und Schlangenfüßen, welches die ambivalente Gesellschaft offenbart und doch keine Aufklärung liefern kann.

Abraxas „is the embodiment of us two coming together to create our own world“

Mit dem seit Jahrhunderten kontrovers gebliebenen Wort ‚Abraxas‘ verbindet ‚Night Beats‘-Begründer Danny Lee Blackwell vor allem eine einende Kraft. Der Bandname seines neuen Duo-Side-Projects mit der Gitarristin Carolina Faruolo wurde demnach bewusst gewählt. Faruolo wuchs in Uruguay mit klassischen Cumbia-Klängen und den psychedelischen Variationen des peruanischen Chicha auf; sie ist diesen bis heute treu verbunden.

So unvereinbar die musikalischen Ausrichtungen der beiden zunächst erscheinen – man denke an den rauen Garage-Rock der ‚Night Beats‘ – so atmosphärisch und leidenschaftlich verschlungen erklingt ihre Synthese. Dies mag vor allem daran liegen, dass die gemeinsame Vorliebe für das Psychedelische ihre individuellen Prägungen einfärbt und subtil verwebt. Angesichts dessen nicht weniger erstaunlich ist es, dass die beiden ihre musikalische und visuelle Welt ausschließlich über den Atlantik hinweg erschaffen haben. Isolationsbedingt nahm sie ihre Parts im britischen Manchester auf; er die seinen im kalifornischen Pomona.

Blackwell: „Each song is its own moon.“

Abraxas Monte Carlo Cover Suicide Squeeze Records

“Sunrise State (Of Mind)“. Claves, Cabasa und Faruolos Cumbia-Gitarre senden einen morgendlichen Gruß an höhere Sphären. Ein emotional aufgeladener Sprechgesang und flehende Chorstimmen hallen durch die evozierte Dschungeldämmerung, als seien sie der Auftakt eines Rituals. “Mañana“ setzt den tranceartigen Charakter fort und stürzt sich mit Wolfsgeheul und hitzig-dichten Klangspektren zwischen Reverbs und Twang vollends in einen ekstatischen Rausch, der nach Wermut und Mapacho schmeckt.

Wenngleich stilistisch anknüpfend, erzeugt das exaltierte “La Estampida“ einen zu starken Bruch. Besser verortet, weil selbstsicherer in ihrer Gangart kommen der an Masekela erinnernde Track “Fuji“ und der funklastige “Shapeshifter“ daher. Vor allem zu Beginn des Abschlusstracks “Göbekli Tepe“ spürt man die geteilte Verehrung für Sade. Für einen kurzen Moment wähnt man sich auf ihrem Album “Diamond Life“, bevor uns Blackwells leicht verzerrte Schamanenstimme und Faruolos hypnotisches Spiel durch die Tiefen unseres Geistes und schlussendlich aus dem Ritual hinausführen.

Abraxas zwischen Tradition und eigenem Timbre

Vollmond. In irrealem Violett. Eine Welt der ewigen Nacht. Aufkommender Nebel verbindet Boden und Firmament. Grazile Schritte in den Büschen verweisen auf die Ortsherren. Schlangen winden sich in organischen Bewegungen um die robusten Stämme. Allgegenwärtiges Zirpen und entferntes Trommeln geben den Rhythmus dieser Sphäre an. Feuer lässt die umliegenden Baumwipfel aufflackern. Stolze Gesänge baden im Fluss der Seelen und vertreiben dämonische Gestalten. Steinerne Ruinen erzählen von einer fehlgeschlagenen Kultur.

Abraxas‘ Musik kann diese vielfältigen inneren Landschaften letztlich nur hervorbringen, weil sie multikulturelle Adern aufweist. Der Song “Prismatic“ zerlegt Blackwells Stimme ebenso kaleidoskopartig, wie es die Band hinsichtlich ihrer divergierenden Songklangfarben tut. Von Cumbia und Tropicalismo à la Os Mutantes über arabische und anatolische Rhythmen bis hin zu R&B und Outlaw-Soul lassen sich allerlei Einflüsse auffinden. Taucht man jedoch mit Kopfhörern gänzlich in all diese fein nuancierten Klanggebilde ein, wird schnell deutlich: der Mythos Abraxas lebt fort, in neuem Gewand.

„Monte Carlo“ von Abraxas erscheint am 28.10.2022 bei Suicide Squeeze Records. (Beitragsbild: Pressefoto)

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