Abolitionismus – Ein Reader

Abolitionismus cover Suhrkamp Verlag

Die von Daniel Loick und Vanessa E. Thompson herausgegebene Textsammlung „Abolitionismus“ erweist sich als höchst lehrreiche und bewusstseinsverändernde Lektüre

„Abolish the Police!“ ist ein Schlachtruf, der im Rahmen der Black-Lives-Matter-Demonstrationen auch in Europa immer wieder zur hören war. Zuvor kannte man ihn vor allem aus den USA. Denn die Forderung nach der Überwindung staatlicher Gewaltinstitutionen steht ganz in der Tradition des Kampfes gegen die Versklavung schwarzer Personen. Neben der Polizei wird auch die Abschaffung von Gefängnissen oder Einwanderungsbehörden gefordert, um die rassistische Geschichte stattlicher Gewaltapparate und ihre Komplizenschaft mit Formen kapitalistischer Ausbeutung und patriarchaler Unterdrückung zu beenden.

Die wichtigsten Stimmen der Abolitionismus-Diskussion

„Abolitionismus“ bezeichnet daher nicht nur eine soziale Bewegung, sondern auch einen theoretischen Ansatz, der sich mit Bedingungen und Folgen einer möglichen Abschaffung dieser Apparate beschäftigt. Der Herausgeberband „Abolitionismus“ im Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaftsverlag widmet sich diesem Thema in aller Ausführlichkeit. Die beiden Herausgeber:innen Daniel Loick (Associate Professor für Politische Philosophie und Sozialphilosophie an der Uni Amsterdam) und Vanessa E. Thompson (Assistant Professor für Black Studies an der Queen’s University Kingston) haben dafür auf mehr als 600 Seiten die wichtigsten Stimmen dieser internationalen Diskussion zusammengetragen. Der Band beinhaltet Texte von u.a. Angela Davis, Michel Foucault, Mumia Abu-Jamal, Ruth Wilson Gilmore, Amna Akbar, Joy James, Klaus Günther, Assa Traoré, Geoffroy de Lagasnerie, Mimi E. Kim, Sarah Lamble, Robyn Maynard und Alex Vitale.

Das strukturelle Missbrauchspotential und die Alternativen

Abolitionismus cover Suhrkamp Verlag

Dabei holen die Herausgeber die Leser:innen ganz am Anfang ab, indem sie zunächst eine Begriffsbestimmung und -abgrenzung vornehmen und anhand aktueller Beispiele die Relevanz der Thematik untermauern. In den Kapitelabschnitten „Abolitionistische Demokratie“, „Strafen und Gefängnis“, „Polizei“, „(Queer-)Feministische Perspektiven und „Abolitionistische Horizonte“ gehen die Autor:innen dann detailliert auf heutige Strukturen, ihr Missbrauchspotenzial, Täter und Opfer sowie mögliche Alternativen ein. Erstaunlich, wie selbstverständlich Strukturen noch immer bestehen und akzeptiert sind, die derartige Benachteiligungen und Diskriminierungen fördern.

„Es gab immer schon Gruppen, die von staatlichen Institutionen unterdrückt wurden und die das in ihrem Alltag auch stark gespürt haben“, sagt Daniel Loick. Dies seien nicht nur schwarze Menschen, sondern auch Obdachlose, Drogennutzende oder Sexarbeiter:innen, die alle tendenziell kriminalisiert stärker staatlicher Gewalt ausgesetzt seien als andere. Die qua Grundrecht versprochene Gleichheit gelte immer nur für einige, während „für andere diese staatlichen Gewaltinstitutionen immer schon ausschließend oder repressiv wirken“. 

Die abolitionistischen Ansätze

Vanessa E. Thompson erklärte in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur, dass abolitionistische Ansätze versuchten, die Gesellschaft insgesamt in den Blick zu nehmen und die Bedingungen von Gewalt zu verstehen und zu verändern. „Niemand von uns steht außerhalb von Gewalt. Auch wenn die Dimensionen graduell unterschiedlich sind, sind wir alle – in diesen rassifizierten, vergeschlechtlichten, kapitalistischen Verhältnissen – Leute, die Gewalt ausüben und Gewalt erfahren. Wir alle wachsen in einer Gesellschaft auf, die sehr stark auf Bestrafungen setzt – anstatt zu schauen, was sind eigentlich Ursachen für Gewalt.“

Und so ist „Abolitionismus“ mehr als nur eine interessante Textsammlung. Es ist ein Augenöffner, sachlich-fundierter Appell, Fragen zu stellen, gegebene Machtstrukturen kritisch zu überdenken und letztlich aktiv zu werden. Eine höchst lehrreiche und bewusstseinsverändernde Lektüre.

„Abolitionismus“, herausgegeben von Daniel Loick und Vanessa E. Thompson, Suhrkamp Verlag, Taschenbuch, 619 Seiten, 978-3-518-29964-7, 28 Euro. (Beitragsbild: Buchcover)

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