Matthias Brandt: Blackbird – Roman

Matthias Brandt credit Kiepenheuer & Witsch Bild, Arne Lesmann

Menschen können Dinge. Die meisten sogar mehr als eins. Und manche können mehrere richtig gut. Zum Beispiel Matthias Brandt. Der kann nicht nur top ermitteln, sondern auch top vermitteln. Und zwar große Emotionen ohne Pathos.

„Mehr kann man manchmal nicht tun, finde ich. Nicht weiterfragen, aber dableiben.“

Recht hat er, der Morten, genannt Motte, Schumacher. Über einen Zeitraum von gerade mal elf Monaten wird das Leben des 15-Jährigen komplett umgekrempelt. Und zwar noch einschneidender, als es bei den meisten anderen seines Alters der Fall ist. Mischhaut, Laune, erste Liebe, erster Suff, großer Schmerz und denken, es hört nich‘ uff – Motte hat noch mehr durchzumachen, als das übliche Pubertätsdesaster inklusive pubertätsdesasterüblicher Begleiterscheinungen.

Das Leben vor dem Giraffenzimmer

Denn statt all das mit seinem besten Freund Bogi gemeinsam zu erleben, liegt der schwerkrank im Krankenhaus. Kinderstation. Giraffenzimmer. Mit Non-Hodgkin-Lymphom, das, wie Motte findet, nicht mal richtig nach Erkrankung klingt und erst recht nicht nach lebensbedrohlich. Statt seines besten Freundes hat Motte von jetzt auf gleich ungewollt zwei neue Begleiter an seiner Seite: Zum einen die Angst um Bogi, zum anderen das schlechte Gewissen, weil er ihn trotzdem, teilweise auch deswegen, zu selten besucht und zu oft an andere denkt. Allen voran an die Hollandrad fahrende Jacqueline Schmiedebach vom nahegelegenen Einstein Gymnasium. Zugegeben: Inhaltlich ist der Coming-of-Age-Roman „Blackbird“ überschaubar bis stellenweise vorhersehbar. Was ein Fakt ist und noch keine Wertung. Die nämlich kommt jetzt erst. 

Matthias Brandt und die Kunst des Erzählens

Matthias Brandt Blackbird Cover Kiepenheur & Witsch

Es stört mal so überhaupt nicht! Im Gegenteil: Die Kunst des Erzählens besteht ja nicht darin, alles zu sagen, sondern das Wichtige, und nicht alles wegzulassen, sondern das Richtige. Und eben diese Kunst beherrscht er, der 1961 in Berlin geborene Matthias Brandt vortrefflich. Bewiesen hat er das bereits mit seinem 2016 erschienenen Buch „Raumpatrouille„. Während es sich dabei um eine Sammlung autobiografischer Geschichten aus seiner Kindheit handelte, gibt Brandt mit „Blackbird“ sein Romandebüt. Ob autobiografisch oder fiktional ist Erzähltalent und -freude glücklicherweise egal. Brandt gelingt es erneut, mit einer exakt dosierten Sprache und einem den jeweiligen Geschehnissen angemessenen Tempo, Wirkung zu erzielen. Und zwar die beabsichtigte, wie man zu unterstellen bereit ist. Weil es eben nahezu unmöglich scheint, an entsprechenden Erzählstellen etwas anderes als amüsiert oder sprachlos oder aufgeregt oder ängstlich zu sein oder welche konkrete Reaktion Brandt mit seiner wirkgenauen Sprache eben intendierte; einer Sprache, die auch mal auslässt, die manchmal das Ringen um Formulierungen zulässt, um kurz darauf wieder frei Schnauze zu sein. Authentisch sind Sprache und Ton, mit denen Brandt seine Figuren erzählt, oder, im Fall von Protagonist Motte, aus der Ich-Perspektive erzählen lässt. Und er gönnt ihnen dabei einen den Geschehnissen angemessenen Raum, was im Fall des Endes knapp ein Fünftel des Romans ausmacht – genau das aber auch benötigt und füllt.

Erwachsenwerden für alle

Ein bisschen funktioniert „Blackbird“ wie eines dieser meist von Oliver Geissen moderierten Sendeformate – nur in literarisch und schön und ohne Oliver Geissen. Also doch nur sehr bedingt vergleichbar.  Aber die Wirkung, das gemeinschaftliche Erinnern an diese „Ach, das waren noch“- Zeiten und die damit verknüpften „GENAU! SO! WAR! DAS!“- Bekräftigungen, die ist gleich. Selbst, wenn man von den 70er Jahren, in denen der Roman spielt, vielleicht nicht so viel, vielleicht auch gar nichts mitbekommen hat. Aber das Erwachsenwerden, das erinnert man wieder. Mit fast allem was dazugehört – auch wenn man sich das ein oder andere anders gewünscht hätte. Und da schließt das Buch und sich der Kreis zum Eingangszitat: „Mehr kann man manchmal nicht tun, finde ich. Nicht weiterfragen, aber dableiben“, das sich im Falle von „Blackbird“ problemlos um „und lesen“ ergänzen ließe.

Matthias Brandt: „Blackbird“, Kiepenheuer & Witsch, Hardcover, 288 Seiten, ISBN: 978-3-462-05313-5, 22 € (Beitragsbild: Credit Kiepenheuer & Witsch Bild, Arne Lesmann)

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