Isabel Bogdan: Laufen – Roman

Isabel Bogdan by Smilla Dankert

Ein mitreißender Roman über Trauer, Verlust und das Weitermachen im Leben von Isabel Bogdan

Manche Menschen laufen, um sich fit zu halten. Andere, um sich auf den nächsten Wettkampf vorzubereiten. Manche laufen, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, weil der Zigarettenkonsum wieder angestiegen ist, andere wiederum laufen, weil es Spaß macht. Und manche laufen, um den Kopf freizubekommen. Diesen therapeutischen Ansatz verfolgt auch die Ich-Erzählerin aus Isabel Bogdans neuem Roman. Die namenlose, in Hamburg wohnende Protagonistin muss einen schweren Schicksalsschlag verkraften und im Bewusstsein des Selbstmordes ihres Freundes Johann weiterleben, der sich aufgrund von Depressionen das Leben nahm.

Innere Monologe

Isabel Bogdan Laufen Cover Kiepenheuer & Witsch

Auf 200 Seiten und über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren begleiten wir die Hauptfigur durch die größte Krise ihres etwas mehr als 40-jährigen Lebens. In ihrem nach „Der Pfau“ zweiten Roman taucht Isabel Bogdan tief in die Gedankenwelt einer zunächst von Verzweiflung, Wut und Selbstvorwürfen geplagten Frau. Mittels innerer Monologe, die beim Laufen entstehen und in Echtzeit festgehalten werden, dokumentiert die in Hamburg lebende Schriftstellerin und Übersetzerin (u.a. Jane Gardam) das Leben nach der Katastrophe. Mit dem Satz „Ich kann nicht mehr“ beginnt der Roman, und schnell wird klar, wie sehr der körperliche Zustand als Spiegelbild der Seele einsteht. Die Erzählerin lief früher schon mal. Wesentlich langsamer als ihr Lebensgefährte Johann, der beim gemeinsamen Training immer sein Tempo verlangsamte. Nach einer Laufpause befindet sich ihr Körper in einem ähnlich desolaten Zustand wie ihre Psyche. Bereits nach wenigen gelaufenen Metern fühlen sich ihre Beine an wie Sandsäcke, die Überwindung, überhaupt loszulaufen, war riesengroß.

Faszinierender Bewusstseinsstrom

Aber es ist der erste Schritt in ein anderes Leben. Nach dem Schock, nach der festsitzenden Trauer, dem Schmerz. Sie läuft sich „die Grübelei“ weg, und wir werden Zeugen ihrer Katharsis. Da ist die Wut auf Johanns Eltern, die dessen sämtliche Besitztümer aus der gemeinsamen Wohnung zu sich nach Elmshorn holten, weil die beiden ja nicht verheiratet waren. Und das ist der Hang zum Schuldeingeständnis, die Schwere von Johanns Erkrankung nicht rechtzeitig bemerkt zu haben und mitverantwortlich für seinen Tod zu sein. Isabel Bogdan fängt die Gedanken in einem faszinierenden Bewusstseinsstrom mit vielen Kommas und wenigen Punkten ein.

Kein neuer Pfau von Isabel Bogdan

Parallel zur einhergehenden Verbesserung der körperlichen Fitness, die Alster-Runde über 7,5 Kilometer wird in der Zwischenzeit geschafft, sogar der Alsterlauf über 10 Km, für den sie von ihrer besten Freundin Rike aus einer Laune heraus angemeldet worden ist, scheint realisierbar, vollzieht sich der kognitive Wandel. Johann steht nicht mehr ständig im Mittelpunkt ihrer Selbstreflexion. Die Freude an ihrem Job als Bratschistin im Orchester gewinnt wieder Oberhand, sogar ein neuer Mann mischt sich in ihr Leben. Isabel Bogdan geht mit ihren zweiten Roman nicht auf Nummer sicher. Im Gegenteil. Keine Neu-Auflage, keine Variante des heiteren, höchst komödiantischen und wahnsinnig unterhaltsamen Buches „Der Pfau“. Humorlos läuft ihre „Heldin“ allerdings nicht durch Hamburg, verbreitet indes einen eher sarkastischen Humor und glänzt mit einer Loriot-Abwandlung.

Isabel Bogdan trifft den richtigen Ton

Bogdan gelingt der Spagat wischen Wut und Witz, zwischen Schwermut und Sehnsucht sowie treffliche Charakterbeschreibungen auch für die Nebenrollen. Und berührende Momente wie der Gutschein von Rikes Kindern „für Immer trösten, wenn du traurig bist“ zeigen die Empathie der Autorin für ihre Hauptfigur. „Laufen“ ist ein literarisches Trostbuch, ein mitreißender Roman über Trauer, Verlust, Schmerz und das Weitermachen im Leben. Isabel Bogdan hat stilistisch den richtigen Ton getroffen, eine erste überraschende Wende in ihrer jungen Karriere als Schriftstellerin vollzogen und damit viel gewonnen. Und nebenbei bewiesen, dass Laufen in Zeiten der persönlichen Krisen helfen kann.

Isabel Bogdan: „Laufen“, Kiepenheuer & Witsch, Hardcover, 208 Seiten, 978-3-462-05349-4, 20 € (Beitragsbild von Smilla Dankert).

Kommentare

  • <cite class="fn">Claudia</cite>

    Lieber Gérard,
    mir geht es mit „Laufen“ so wie dir: Ich bin auch ziemlich begeistert von der Lektüre. Und du schreibst ja auch so treffend, wie gut die Erzählerin ihre Geschichte aufarbeitet zwischen „Wut und Witz, zwischen Schwermut und Sehnsucht“. Wie sie beim Laufen die Bewältigung des Traumas angeht, sich ihrer Schuld stellt und sich ganz langsam ein neues. eigenes Leben erläuft. Das ist wirklich richtig klasse erzählt.
    Viele Grüße in den Norden, Claudia

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