Michael Kleeberg: Meine Top-Ten-Alben

Michael Kleeberg by Lothar Köthe

Der Schriftsteller Michael Kleeberg stellt bei Sounds & Books seine Lieblingsmusik vor

In der schönen Reihe „Schriftstellerinnen und Schriftsteller stellen ihre zehn Lieblingsalben vor“ geht es heute in die nächste Runde. Zu Gast begrüßen wir Michael Kleeberg, dessen aktueller, im Galiani Verlag veröffentlichter Roman „Der Idiot des 21 Jahrhunderts. Ein Divan“ in der Sounds & Books-Liste der Bücher des Jahres 2018 auf Platz 2 stürmte. Über seine Lieblingsmusik und die Herangehensweise an die Liste der Top-Ten-Alben verrät uns Michael Kleeberg nun alles in den folgenden Zeilen. (Beitragsbild: Michael Kleeberg von Lothar Köthe)

Die Top-Ten-Alben von Michael Kleeberg

Zehn Alben für ein Leben mit dem Pop, das ist wenig. Daher zunächst ein musikalischer Disclaimer, um zu erklären, was warum nie für mich in Frage gekommen ist. Es gibt ein einziges Buch über Popmusik, das ich mit Lust und Gewinn gelesen habe, und das ist Nik Cohns Awopbopaloo… Alles andere brauche ich nicht, und die deutsche Tendenz, die Popmusik ins Germanistikseminar zu holen (das späte Sounds, Spex etc pp) fand ich immer so langweilig und pompös wie lächerlich und an der Sache vorbei. Im Grunde geht es um Autos, Sex, Liebe, Sehnsucht und Selbstanalyse. Im Gegensatz zur Klassik oder zum Jazz sind 90% der Popmusik für mich an bestimmte historische Lebensmomente oder -abschnitte gebunden und nur in diesem Zusammenhang als Musik zu rechtfertigen.

Es steht in dieser Liste kein Dylan. Sein Genäsel ist mir immer auf den Senkel gegangen, und ich habe seinerzeit sogar die 3. Platte des Concert for Bangladesh an einen Freund weiterverschenkt. Immerhin habe ich ihn spät als Mitglied der Traveling Wilburys schätzen gelernt (siehe honorable mentions). Es stehen keine Beatles-Alben auf dieser Liste, andernfalls würde sie aus nichts anderem bestehen. Und ich habe meinen Plattenschrank jetzt nicht nochmal durchforstet, es gibt also garantiert Lücken, wegen derer ich mir hinterher an den Kopf fassen werde. Seis drum.

Hier also in beliebiger Reihenfolge zehn All-time-Favorites:

1) Es muß alles mit dem Rock n Roll beginnen. Das Problem ist: Es gibt wenig große Einzelalben der Giganten, so daß man, um die unsterbliche Musik von Chuck Berry und Little Richard zu hören, Kompilationen haben oder Youtube-Konzertausschnitte hören muss. Ausnahme: Keith Richards Jubiläumskonzert für Berry ‚Hail Hail Rock n Roll‘. Große Ausnahme und für mich die Wasserstoffbombe des Rock: Jerry Lee Lewis, Live at the Star Club. Oder wie man einen multiplen Orgasmus erreichen kann.

2) Songs of Leonard Cohen. Hamburg 1976. Entdeckung der Großstadt, Ozeanhorizont, Elbchaussee, Hans-Albers-Platz, Kontakthöfe, Finkenwerder-Hemden und Cowboystiefel. Erster Liebeskummer um blonde Hanseatinnen, erster Sex mit dunkelhaarigen Mädchen, die beim Tanzen umfallen. Das alte Tonio-Kröger-Syndrom. Dazu Suzanne und So long Marianne. Man kann das in meinem ‚Karlmann‘ nachlesen.

3) Peter Skellern: ‚You’re a Lady‘. Debüt eines unbekannten Genies. Eines Herbstnachmittags 1977 in einem verdunkelten Mädchenzimmer in Trittau entdeckt und seitdem millionenfach wiedergehört. Love it or leave it. Ein Album, um es mir mit in den Sarg zu legen.

4) Graham Parker and the Rumour: ‚Stick to me‘. Irgendwann 1976/77 ging mir die vorherrschende Musik in unserer Clique auf den Senkel, und ich suchte nach Neuem. Parker ist musikalischer als der Punk, lebendiger und aggressiver als alles andere in jener Zeit. Wenn ich die alten Liveaufnahmen auf Youtube sehe: Ein böser Zwerg, aber ein begnadeter.

5) Beach Boys: ‚Pet Sounds‘. Könnte aber auch jedes Best-of-Album sein. Natürlich (wie die Beatles) erst entdeckt, als es sie schon lange nicht mehr gab. Kürzlich die erstaunlichen 2016er Versionen von „Sloop John B“ und „Wouldn’t it be nice“ gehört, die die Opas Brian Wilson (einer der unglaublichen Überlebenden des Pop) und Al Jardine aufgenommen haben. Besser wirds nicht mehr werden. Zu jeder Tages- und Jahreszeit.

6) George Harrison: ‚All things must pass‘. Zu meiner Schande muss ich gestehen, daß mir das Genie Harrisons erst Jahre nach seinem Tod aufgegangen ist. Seither habe ich rückwärts von Brainwashed bis zu seinem Debüt alles mit einer Mischung aus mundklaffender Verblüffung und vollkommener Begeisterung gehört. Der einzige der vier, der nach der Trennung gewachsen ist. Menschlich und musikalisch. Und er hat den Sound der Beatles geprägt und aus Akustikdemos grandiose Songs gemacht. Außerdem hatte er einen wunderbaren Humor und ja: ich finde auch, er spielt eine melodischere Gitarre als der etwas beschränkte Clapton (siehe While my Guitar… auf dem Live in Japan-Album. Ab Minute 5)

7) David Bowie: ‚Heroes‘. Wegen Joe the Lion habe ich meine Hamburger Zelte abgebrochen und bin für ein Jahr nach Berlin-Kreuzberg gezogen, wo ich gegenüber vom SO 36 lebte. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund habe ich bei dem Lied immer den Mehring-Damm vor mir gesehen.

8) Peter Gabriel, die erste mit dem verregneten Auto. Selbe Zeit wie Graham Parker. Umso seltsamer, als ich Genesis nicht ertragen habe. Und die Platte habe ich mir tatsächlich auf eine Kritik in Sounds hin gekauft. Eines der eher raren Alben, das an keine bestimmte Adoleszenz-Erinnerung geknüpft ist und das ich daher bis heute immer wieder gerne und ohne Peinlichkeit hören kann. Danach wurde er immer professioneller und interessierte mich immer weniger.

9) 1986 ging ich nach Frankreich und hörte praktisch auf, die aktuelle Entwicklung der anglo-amerikanischen Popmusik noch weiter zu verfolgen. Es gab zuviel anderes: Klassische Musik, Jazz, die große französische Chansontradition von Trenet über Brassens zu Ferré oder Boby Lapointe und Boris Vian. Und ja: auch die französische Popmusik! Last not least hier meine beiden Lieblingsalben aus Outre-Rhin: Claude Nougaro, der eigentliche Erfinder der Crossover-Musik. Jahre vor Harrison und Jahrzehnte vor Paul Simon. Ein grandioses Comeback-Album, ‚Nougayork‘, besser als alles, was zu der Zeit aus London oder L.A. kam. Und was für eine Stimme. Und dann Jacques Higelin, ‚Live au Casino de Paris‘. Eins, wenn nicht das genialste Live-Album, das ich jemals gehört habe. Improvisation, Emotion, Coolness. ‚La Rousse au chocolat‘ oder ‚Encore une journée de foutue‘. Soundtrack meiner 15 Jahre Paris.

10) Honorable mentions. Weil 10 doch eben nicht reichen, Musik, die ich mir auf eine permanente Playlist wünsche: Einen Querschnitt der Doors, einen Überblick über die frühen Hollies, der beweist, daß die Harmonien von Clarke, Nash und Hicks besser waren als die von Crosby Stills Nash & Young. Ein Best of von Steely Dan mit ‚Hey Nineteen‘. ‚Wild things run fast‘ von Joni Mitchell (siehe wiederum ‚Karlmann‘). Das erste Album von Kate Bush. Die frühen Queen mit ‚In the lap of the Gods‘. Die Anfänge der unvergleichlich genialen Mael-Brüder: This Town und Amateur Hour. Von 10 cc ‚The Dean & I‘ und ‚Wall Street shuffle‘. Das erste Album der Traveling Wilburys. Georges zweite Band, wie Tom Petty sagte. Und auf ‚Congratulations‘ mag ich sogar Dylan.

Herzlichen Dank an Michael Kleeberg für die Vorstellung seiner Lieblingsmusik bei Sounds & Books.

Kommentar schreiben