Birgit Rabisch: Meine Top-Ten-Alben

Birgit Rabisch Pressefoto

Die Hamburger Schriftstellerin Birgit Rabisch stellt ihre zehn Lieblingsalben vor

Nach Daniel-Pascal Zorn, Elisabeth R. Hager und Moritz Hildt lässt uns nun die Hamburger Schriftstellerin Birgit Rabisch an ihrer Lieblingsmusik teilhaben. Birgit Rabisch hat letztes Jahr ihren aktuellen, bei Sounds & Books besprochenen Roman „Putzfrau bei den Beatles“ im Verlag duotincta veröffentlicht. Daraus liest sie am Mittwoch, 27.03.2019, ab 19.30 Uhr bei freiem Eintritt in der Bücherhalle Hamburg-Eimsbüttel, Doormannsweg 12. Dass die Beatles auch in ihrer Liste auftauchen, verwundert natürlich nicht. Viel Spaß mit den zehn Lieblingsalben von Birgit Rabisch (Beitragsbild: Pressefoto Birgit Rabisch).

Die Top-Ten-Alben von Birgit Rabisch

Ich muss zugeben, dass ich mehr eine Frau des Wortes als der Musik bin. Darum bin ich auch Schriftstellerin geworden und nicht Sängerin, obwohl mein Musiklehrer mir eine „sehr schöne Alt-Stimme“ bescheinigt hat. Aber natürlich hat Musik in meinem Leben auch eine wichtige Rolle gespielt.  Da ich nicht mit fundierten musikalischen Analysen darüber aufwarten kann, warum mir was gefällt, habe ich mich entschieden, meine Lieblingsalben im Wesentlichen in ihrem biografischen Kontext vorzustellen. 

Leonard Cohen:  Songs From A Room

Die Lieder von Leonard Cohen haben mich in allen Phasen meines Lebens begleitet und begeistert. Darum gebührt ihm der Anfang und das Ende dieser Liste.

Sein zweites  Album „Songs from a room“ (1969) steht hier pars pro toto für seine frühen Songs. Dieser Mann und seine Gitarre und seine poetischen Texte – mehr brauchte es nicht. Seine melancholischen Lieder waren die Untermalung meiner WG-Zeit, meiner ersten Lieben, meiner ersten Enttäuschungen. Ich fühlte mich gemeint mit dem „bird on the wire“ auf der Suche nach dem eigenen Weg, frei zu sein, und ich wusste auch schon „tonight will be fine – for a while“.  Seine frühen Alben, die noch nicht mit Orchester, Synthesizer und Background-Sängerinnen arbeiten, sind mir die liebsten, aber auch seine späteren Songs sind so stark, dass sie diese für mich überflüssigen Elemente unbeschadet überstanden haben.

Heute schaue ich auf die Rückseite des Covers von „Songs from a room“ und mir lacht die junge Marianne Ihlen entgegen, die Cohen durch sein „So long, Marianne“  in die Unsterblichkeit gesungen hat, und ich denke: „It seems so long ago“! 

Element Of Crime: Schafe, Monster und Mäuse

Das neueste Album der Band Element Of Crime vereinigt all das, was ich an der Band liebe. Wikipedia charakterisiert ihre Musik als „melancholisch-chansoneske Pop- und Rockmusik“.  Das hört sich für mich ziemlich schräg an, trifft es aber nicht schlecht. Die Texte von Sven Regener changieren zwischen romantisch und lakonisch und das trifft bei mir ins Schwarze. Nur geerdet durch Lakonie ertrage ich Romantik und nur schwimmend auf einem untergründigen Gefühlsstrom ertrage ich Lakonie. Natürlich bin ich auch ein Fan der Bücher von Sven Regener, in denen man seine Musikalität in jeder Zeile spürt. Bei Element Of Crime befruchten sich Poesie und Musik gegenseitig, sie passen einfach kongenial zusammen. Diese Mischung macht’s.  Mit Sven Regener gehe ich gern „noch einmal den Kurfürstendamm entlang, am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang“.

Cesária Évora: Cesária

Irgendwann konnte ich nachts nicht schlafen, schaltete das Radio ein und hörte eine Stimme, die mich total faszinierte, Lieder singen, die mich wach hielten, obwohl die Musik eigentlich ruhig und entspannend war. Ich konnte nicht genug bekommen von den melancholischen und sehnsüchtigen Tönen und wollte unbedingt wissen, wen und was ich da hörte. Leider folgten übergangslos die Nachrichten und eine Playlist gab es damals auch noch nicht. Also schrieb ich an den NDR und erhielt sogar eine Antwort. Sofort kaufte ich mir „Césaria“, die erste Platte der kapverdischen Sängerin Cesária Évora, der noch viele weitere folgen sollten.  Durch Cesária Évora lernte ich den Morna kennen und lieben,  der dem portugiesischen Fado ähnelt.  Ihre Lieder schaffen es, mich zu begeistern, obwohl ich vom Text kein Wort verstehe. Und das ist für mich etwas Besonderes, weil mich sonst hauptsächlich Lieder ansprechen, bei denen ich das Zusammenspiel von Text und Musik gelungen finde. 

The Beatles: Yellow Submarine

Die Beatles habe ich in meiner Jugend natürlich rauf und runter gehört (die Stones übrigens auch, obwohl die Fans der beiden Bands ja angeblich Todfeinde waren), aber das „Yellow Submarine“  ist erst vor kurzem wieder in meinem Leben aufgetaucht. Ich habe in meinem Roman „Putzfrau bei den Beatles“ vier Alt-68er gemeinsam in die Untiefen des Alters hinabtauchen lassen – in ihrer gelbgetünchten Seniorenvilla namens „Yellow Submarine“, wo sie getreu dem Motto „With a little help from my friends“ leben.  Da ich in dem Roman viele Songtexte der Beatles  verarbeitet habe, bin ich während des Schreibens noch einmal ganz tief ins unauslotbare Beatles-Universum eingetaucht  „…  and the band begins to play“.   

John Lennon, Yoko Ono:  Double Fantasy

Bei Erscheinen dieses Albums 1980 gab es die Beatles bekanntlich schon lange nicht mehr und viele Fans gaben der bösen Yoko Ono eine Mitschuld an der Auflösung der Band.  Ich fand diese Frau jedoch sehr faszinierend und schätzte auch ihre Musik. Wenn ihr Gesang manchmal zu sehr in Schreien ausartete, habe ich die Lautstärke einfach so lange runtergeregelt, bis sie sich wieder eingekriegt hat. Sehr gefallen haben mir ihre feministischen Texte, die heute so aktuell sind wie damals. 

Ich werde den 8. 12. 1980 nie vergessen, an dem ich diese gemeinsame Platte von John und Yoko zum ersten Mal gehört habe. Ich war ganz überwältigt von ihrer gereiften Liebe, die aus vielen Songs sprach, von „Beautiful Boy“, das John für seinen Sohn Sean sang, von der gelassenen Atmosphäre in „Watching the wheels“ und als John am Ende sang „Hard times are over for a while“, dachte ich: Wie schön! Möge es noch lange so sein!

Am nächsten Morgen hörte ich im Radio die Nachricht von dem tödlichen Attentat auf ihn.    

Helmut Debus:  Wille Harten

Ich weiß nicht, ob Helmut Debus über den kleinen Kreis der Plattsnacker hinaus bekannt ist, aber für mich ist er ein großartiger Liedermacher. Einige  Titel seiner Songs verraten schon, dass seine Sujets genau meine Sehnsüchte treffen: Ik krigg dat Meer nich ut’n Kopp, Namiddag an’n Strom, Matrosen an Land, De Mööw, Snee in de Sails, De Blanke Hans etc.  Als Hamburgerin, die der norddeutschen Landschaft, der Elbe und dem Wattenmeer verfallen ist, kann ich mich in seinen melancholisch-sehnsüchtigen Melodien und Texten suhlen. Ja, die Melancholie hat’s mir angetan, das ist wohl so. Aber wenn sie mir zu viel antun will, lasse ich mich von Helmut Debus aufs Wasser ziehen: „De Seewind weiht good, wi seilt mit de Morgenfloot“!

Jaques Brel: Quand on n’a que l’amour

Das erste Mal, das ich ein Chanson von Jaques Brel gehört habe, war bei meinem ersten Frankreichtrip mit meinem ersten Freund auf einem Campingplatz nach einem Nacktbad in der Ardeche bei Sonnenuntergang. Kann man es sich noch kitschiger vorstellen? Und es war natürlich „Ne me quitte pas“, was da aus dem scheppernden Lautsprecher eines Kassettenrekorders in die milde Abendluft klang. Während ich mich an den Freund kaum noch erinnere, ist meine Liebe zu Jaques Brel nie erkaltet. Über ihn als Chansonnier noch irgendetwas zu sagen, hieße sicherlich Eulen nach Athen zu tragen. Die Lieder des Belgiers gelten heute als Inbegriff des französischen Chansons. Für mich selbst erstaunlich, mag ich auch die deutschen Adaptionen von Klaus Hoffmann, z.B. von „Amsterdam“, „Le Plat Pays“ und „Marieke“, obwohl sie einen ganz anderen Charakter haben als die Originale. Mein Lieblingschanson von Brel ist und bleibt „Quand on n’a que l’amour“, dessen Text man in einem Satz zusammenfassen kann: Wenn man nichts hat außer der Liebe, hat man die ganze Welt.  

Mikis Theodorakis:  Canto General (am liebsten gesungen von Maria Farantouri )

Zuerst kannte ich den politischen Pablo Neruda, den Botschafter Chiles in der Ära des frei gewählten sozialistischen Präsidenten Allende. Erst später lernte ich seine Texte kennen. Auch Mikis Theodorakis kannte ich zuerst als Kämpfer gegen die Militärdiktatur in Griechenland, bevor ich seine Musik hörte. Der „Canto General“, die kongeniale Vertonung der Texte Nerudas durch Mikis Theodorakis, hörte ich zum ersten Mal Jahre nach dem Putsch Pinochets in Chile, aufgeführt von einem griechischen Orchester und Chor in Hamburg. Dieses grandiose Werk wird immer eine Ermutigung und Stärkung für viele Menschen sein, die Widerstand leisten gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit (in zwangsläufiger Kürze hier mal so pauschal ausgedrückt). Oder, wie die Menschen bei Nerudas  Beerdigung trotz der Bedrohung durch Pinochets Soldaten, skandierten: „Camarada Pablo Neruda!“ „ Presente, ahora y siempre!“ („Genosse Pablo Neruda!“  „Anwesend, jetzt und immer!“). Mikis Theodorakis ist noch ganz irdisch unter uns anwesend. Möge er auch nach seinem 100sten Geburtstag am 29.7.2023 noch in seinem Rollstuhl auf Demos mitrollen!   

Manu Chao: Clandestino

Wenn es einen Song gibt, der für mich ein Ohrwurm ist, den ich nie wieder aus meinem Hirn bekomme, ist es „Bongo Bong“ von Manu Chao. Aber auch andere Songs sind unglaublich eindringlich. Einmal gehört, vergisst man sie nicht mehr. Mich fasziniert vor allem die Mischung aus europäischen Musikstilen mit lateinamerikanischen und afrikanischen (Mestizo), aber auch die Mischung von melodischen und rhythmischen Passagen, die Mischung von sozialkritischen und liebeslyrischen Texten, die Mischung von Sprachen, die Mischung von Anklage und Humor, – also kurz gesagt: Es ist gerade die Mischung, aus der wieder etwas total Einzigartiges entsteht. Diese Vielfalt ist für mich der Klang unserer Zeit. Und der von Manu Chao besungene Clandestino ist ihre  Symbolfigur. 

Leonard  Cohen: You Want It Darker

Zum Schluss noch einmal Leonard Cohen.  Und es war wirklich der Schluss, war sein letztes Album, das er, schon schwer krank, mit Hilfe seines Sohnes Adam Cohen eingespielt hat. Ich habe es an dem Tag zum ersten Mal gehört, an dem sein Tod in den Nachrichten verkündet wurde, und dann habe ich es gleich nochmal und nochmal gehört. Ich war sehr traurig, aber auch dankbar für dieses großartige Vermächtnis. Es hat allen, die seine Lieder lieben, zum Abschied noch ein ebenso düsteres wie wunderbares Geschenk gemacht. Er hat sich wie Mozart sein eigenes Requiem komponiert. Er ist versöhnt mit seinem Tod („Hineni, I’m ready, my Lord“), aber nicht versöhnt mit Gott aus der Welt gegangen. „You want it darker“, fragt er ihn in düsterstem Zynismus, nachdem er ihm noch einmal all das menschliche Leid, „murder and maim“, vorgehalten hat und „the help that never came“. Willst du es trotzdem immer noch dunkler? Na dann: „We kill the flame“.  Mit diesen bitteren Worten lässt er uns zurück und verabschiedet sich: „I’m leaving the table, I’m out of the game.“ Und wir müssen weiterspielen.

Herzlichen Dank an Birgit Rabisch für die Vorstellung ihrer Top-Ten-Alben bei Sounds & Books.

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