Sana Krasikov: Die Heimkehrer – Roman

Sana Krasikov Die Heimkehrer Cover Luchterhand

Ein opulentes und ergreifendes Familien- und Gesellschaftsepos

Im Prolog von Sana Krasikovs Roman „Die Heimkehrer“ steht der 13-jähige Julian auf einem überfüllten sowjetischen Bahnhof seiner Mutter gegenüber, die er nur noch an ihren Augen verschwommen wiedererkennt. Wir schreiben das Jahr 1956 und Julians Mutter Florence Fein saß die letzten fast acht Jahre in einer Gulag-Gefangenschaft in Sibirien ab, während ihr Sohn diese Zeit im Waisenhaus verbrachte. Ein knappes Jahrzehnt, das tiefe Spuren nicht nur in Florence Feins Aussehen hinterläßt.

Gut 20 Jahre früher verließ sie ihre New Yorker Heimat in den USA, flüchtete in der Zeit der Great Depression wie viele andere ebenfalls vor der Weltwirtschaftskrise und dem Kapitalismus, um die Utopie der klassenlosen sowjetischen Gesellschaft zu erleben. Und um den russischen Ingenieur Sergej aufzuspüren, in den sie sich bei einem Übersetzerjob in Cleveland verliebte. Eine Zukunft mit Sergej ist für die junge Florence zwar nicht vorgesehen, doch lernt sie in Leon Brink einen Gleichgesinnten kennen.

Leon Brink war einer der Männer, die eine natürliche Begabung haben ihr eigenes Leben in eine Komödie, ja in einen Mythos zu verwandeln. Diese Gabe war gar nicht so selten untere den Rebellen und Außenseitern, die es in den dreißiger Jahren nach Moskau verschlagen hatte – freie Geister, die sich stolz von ihrem kapitalistischen Heimatland lossagten.“

Sana Krasikov Die Heimkehrer Cover LuchterhandZusammen leben sie in einer beengten Gemeinschaftswohnung, der „Kommunalka“, und versuchen das Beste aus ihren Möglichkeiten im verarmten Sowjetreich herauszuholen. Die Zeiten die die Amerikaner in der der Sowjetunion indes werden rauer. Florence verliert ihren Job, ihr amerikanischer Pass wird einbehalten und sie lässt sich auf eine Zusammenarbeit mit dem NKWD ein. Nach dem 2. Weltkrieg gerät sie während der stalinistischen Säuberungen in Spionageverdacht und die Familie wird zerrissen. Nach der Haftentlassung wehrt sich Florence mehr als 20 weitere Jahre, bevor sie ihr Sohn zu einer Rückkehr in die USA überzeugen kann. Julian wiederum kehrt im Jahre 2008 nach Moskau zurück, denn in der Zwischenzeit wohnt dort sein Sohn Lenny, den er zurückholen möchte. Zudem sind einige Fragen zur sowjetischen Vergangenheit seiner Mutter offen, die für ihn zu klären sind.

Sana Krasikov springt in ihrem atemberaubenden Debütroman ständig zwischen den Zeiten. Sie verleiht ihrem knapp 800-seitigen Epos die Spannung eines guten Spionageromans und entwirft ein packendes, stilistisch flüssig geschriebenes Familien-Gesellschafts-Epochen- und Historienpanorama, das sich klug und eindringlich mit den Themen Idealismus, Heimat, Ideologie, Verrat, Propaganda, Geschichte und Totalitarismus auseinandersetzt.

Die 1979 in der Ukrainischen Sowjetrepublik geborene und in der Georgischen Sowjetrepublik aufgewachsene, im Alter von neun Jahren mit ihrer Familie in die USA ausgewanderte Sana Krasikov, die bisher den Erzählband One More Year (dt. In Gesellschaft von Männern) veröffentlichte, besitzt die schriftstellerische Gabe, die Leser von scheinbar leichter Hand von Beginn bis zum Ende der Story in den Strudel der Ereignisse hineinzuziehen. Die Heimkehrer ist ein literarischer Pageturner, irgendwo zwischen Jonathan Franzen und Elena Ferrante, ergreifend und nachdenklich stimmend. 800 Seiten Lesegenuss pur.

Sana Krasikov: „Die Heimkehrer“, Luchterhand Literaturverlag, aus dem amerikanischen Englisch von Silvia Morawetz, Hardcover, 800 Seiten, 978-3-630-87308-4, 26 €.

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