Lydia Daher: Wir hatten Großes vor – Album Review

 

Kunst- und feinsinnige Arrangements zwischen Pop und Jazz

Die Welt der Lydia Daher zwischen Jazz und Pop ist die zurzeit wohl aufregendste in der zeitgenössischen deutschen Musik. Eine aufregende Welt, obwohl die Musik auf Lydia Dahers vierter Veröffentlichung Wir hatten Großes vor höchst unaufgeregt daherkommt. Die auch als Lyrikerin von sich Reden machende, in Berlin lebende Künstlerin bleibt zumeist im ruhigen Fahrwasser, misch dem Jazz-Pop noch Electro, Ambient und Avantgarde hinzu und kreiert einen individuellen und anspruchsvollen Klangkosmos.

Sounds & Books_Lydia Daher_Wir hatten Großes vor_Cover_TrikontGanz am Ende von Wir hatten Großes vor, beim Abschlusstrack „Irgendwas, Irgendwann“ lässt sich Lydia Daher, gesanglich von Bassist und Pianist Tobias von Glenck begleitet, ganz und gar in die Songwriter-Pop-Melancholie fallen. Eine der anmutigsten und schönsten deutschsprachigen Balladen seit Christiane Rösingers Album Lieder ohne Leiden. Ein Lob an die Unentschlossenheit, die Ziellosigkeit und die Schwermut („Du weißt genau wie ich nicht wohin mit dir / Das Einfachste ist du bleibst jetzt einfach hier / Dann können wir zusammen stillstehen und kommen trotzdem voran mit irgendwas, irgendwann“). Ein famoser Gegenentwurf zum Optimierungswahn der vorwärtsrasenden Gesellschaft und ein echter Repeattastensong.

Im Eröffnungstrack „Kein Grund für Tränen“ warnt Daher mit den Zeilen „Und sei drauf eingestellt, dass deine heile Welt, an der du festhältst, wie alles um uns rum auseinanderfällt“. Und eine heile musikalische Welt bietet die 1980 geborene Songwriterin auf Wir hatten Großes vor auch nicht an. Der treibende New Wave-Rhythmus in „Ich komme hier nicht weg“ wird von einer Spoken-Word-Einlage unterbrochen und am Ende von einem Free-Jazz-Saxophon torpediert. „Immer der Sonne nach“ ist eine feinfühlige-melodiöse Antwort im Jazzformat an Indie-Ikone Laura Marling, percussiongetrieben und mit entfernten Reggae-Ansätzen arbeitet „Ruinieren“, während „Nein, nein“ Club-Sound mit Saxophon-Tönen vereint.

Im sanft fließenden „Küssen an der Küste“ wird das Private politisch („Ich will dich küssen an der Küste dieses total bankrotten Staates“) und „Wirklich“ ein Kunstlied par excellence. Bei Lydia Daher wird das Avantgardistische hörbar gemacht, wie im futuristisch anmutenden „Meine Störung“ oder in „Über die Welt, die eigene Lage“, auf dessen verwirrende Rhythmik man sich jedoch einlassen muss. Das kurze und alptraumhafte „Skulpturenpark“ irritiert und die Traumwelt in „Für dich, der nicht nach Hause findet“ versetzt einen in Trance. Wir hatten Großes vor ist ein kunstsinniges, versponnenes, poetisches, filigranes, überraschendes und wendungsreiches Album. Was auch immer Lydia Daher noch vorhat, mit dieser Platte hat sie Großes vollbracht.

„Wir hatten Großes vor“ von Lydia Daher ist am 27.10.2017 bei Trikont erschienen.

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