Kraftklub live in Hamburg 2017 – Konzertreview

 

Eine Nacht zum Eskalieren

Vier Sekunden – länger brauchte es nicht für das erste Mosh-Pit des Konzerts. Es ging an diesem Abend gar nicht darum OB es bei einem Song ein Mosh-Pit gab, sondern nur wie oft und an wie vielen Stellen der Halle! Ab dem ersten Moment war das Publikum bereit zu eskalieren und die Sporthalle in ein Tropenhaus zu verwandeln. Schon der Voract Von Wegen Lisbeth schaffte es, einen Großteil der Alsterdorfer Sporthalle zum Mitsingen und -tanzen zu bewegen – manchen Hauptacts gelingt es nicht, das Publikum so schnell und intensiv zu animieren. Spätestens als der rote Vorhang fiel und Kraftklub zum Vorschein kam, begann aber die zweistündige Ekstase.

Schon die ersten drei Stücke steigerten die Stimmung immer weiter und weiter – aus Springen und einem Mosh-Pit bei „Hallo Nacht“ wurden bei „Fenster“ schon grölende und wild pogende Chöre. Nachdem die Band Mitten im Song „Eure Mädchen“ einfach in bester Stop-Tanz-Manier für 30 Sekunden eingefroren ist, eskalierte das Publikum dann komplett. Felix Brummer, Frontmann der Band Kraftklub, versteht es die Massen zu dirigieren. Ob Klatschen, Pogen, Mosh-Pits, die Wall of Death oder Wechselgesänge – in ihren nun acht Jahren gemeinsamer Bühnenerfahrung haben die Chemnitzer Jungs die Animations-Klaviatur richtig perfektioniert.

All die Animation würde aber auch ins Leere laufen, hätten Kraftklub nicht so viele Hits im Gepäck.  Zu einer bunte Mischung aus ihren drei bisherigen Alben tanzt und eskaliert das Publikum an diesem Abend. Neue Titel wie „Am Ende“ oder „Chemie Chemie Ya“ ziehen da genauso, wie „Karl-Marx-Stadt“ oder „Ich will nicht nach Berlin“, Songs, die sie schon bei ihren ersten Hamburg-Auftritten vor sieben Jahren im Gepäck hatten. Als spezielle Hamburg-Überraschung kommt zur Hälfte des Konzertes plötzlich Porky von Deichkind verkleidet als „Security-Mann Thomas“ auf die Bühne und performt gemeinsam mit Kraftklub die etwas unbekanntere Slime-Deichkind-Kollabo „Die rote Kiste“.

Das große Highlight des Abends kam trotz vieler Hits nicht aus dem eigenen Repertoire – nach einem großartigen Liebes-Medley aus „Kein Liebeslied“, „Liebe“, „Dein Lied“, „Für immer“, „Melancholie“ und „Deine Gang“ holte die Band nochmals den Support Von Wegen Lisbeth auf die Bühne. Gemeinsam mit einem gigantischen, aus vollem Herzen singenden Publikumschor performten die beiden Bands dann „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten. Es war der lauteste Moment eines sowieso schon unglaublich euphorischen Abends.

Lediglich der einzige reine Rap-Song „500k“ zündete nicht einhundertprozentig und auch der Versuch, das Publikum alleine „Chemie Chemie Ya“ rappen zu lassen, verlief etwas ins Leere. Aber dies ist schon Meckern auf sehr hohem Niveau – auch hier sind die Fans immer noch engagierter dabei, als bei anderen Konzerten auf dem Höhepunkt. Für die Zugabe fährt Kraftklub dann noch einmal richtig auf. Auf einer rollenden Bühne werden sie durch die Menschenmassen gezogen und performen so direkt zwischen ihren Fans „Ich will nicht nach Berlin“ und „Randale“. Noch ein Anti-AfD-Statement gefolgt von „Nazis raus“-Sprechchören und dem Song „Schüsse in die Luft“ und die zwei Stunden finden mit „Songs für Liam“ ihr würdiges Ende. Das Publikum springt, pogt, lässt die T-Shirts über den Köpfen kreisen und steigt für ein „Hey Jude“-Interlude wieder als Chor ein. Unter Luftschlangenregen endet die beeindruckende „Nacht für Hamburg“ – eine Nacht, mit der Kraftklub eindrucksvoll bewiesen haben, dass sie aktuell zur Spitze der deutschen Rockmusik zählen!

(Fotos: Gérard Otremba)

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