Interview mit dem Schriftsteller Jürgen Bauer

 

Ein pessimistischer Idealist

Im August dieses Jahres ist Jürgen Bauers neuer, in diesem Magazin bereits besprochener Roman „Ein guter Mensch“ im Septime Verlag erschienen. Nach „Das Fenster zur Welt“ und „Was wir fürchten“ ist „Ein guter Mensch“ der dritte Roman des österreichischen Autors und auf der Frankfurter Buchmesse war Jürgen Bauer bereit, Sounds & Books ein paar Fragen zu beantworten (Beitragsbild: Pressfoto).

 

Mitte August ist Dein neuer, dritter Roman Ein guter Mensch erschienen. Wie fällt Dein Zwischenfazit aus? Wie ist er bei der Presse angekommen? Gibt es Leserreaktionen?

Man sollte ja meinen, man  gewöhnt sich an die emotionale Reaktion beim Veröffentlichen eines Buches, aber das Gegenteil ist wahr. Ich zumindest wurde mit jedem Roman nervöser. Insofern freue ich mich über die vielen positiven Rückmeldungen. Wobei es ja gar nicht so sehr um „Daumen rauf“ oder „Daumen runter“ geht, sondern darum, Menschen zu finden, die einen Bezug herstellen können zu dem, woran man so lange gearbeitet hat. Natürlich waren ganz unterschiedliche Reaktionen dabei, einige Figuren haben ganz schön polarisiert; aber das ist ja nichts Schlechtes. Das zeigt ja nur, dass der Roman etwas auslöst.

Der Roman spielt in einer nicht näher gekennzeichneten Zukunft, in der in Mitteleuropa strenge Dürreperioden herrschen. Du greifst also das wichtige Thema Klimawandel auf. Was gab den Ausschlag, sich thematisch in Romanform damit zu beschäftigen?

Am Beginn stand gar nicht das Thema Wasserknappheit. Ich wollte einen Roman schreiben, der die Frage behandelt: Wie (über)lebt man in einer Umgebung, in der die Hoffnung auf eine bessere Zukunft abhandengekommen ist? Allerdings hatte ich noch kein Setting, keine Welt, in der dieser Roman spielen könnte. Dann fiel mir durch Zufall eine Reportage in die Hände: „Caracas“, von Gabriel García Márquez. Er beschreibt darin eine Wasserknappheit im Jahr 1958. Ganz am Beginn wacht die Hauptfigur auf, geht in einen Supermarkt und kauft sich eine Wasserflasche, um sich zu rasieren, weil kein Wasser mehr aus den Leitungen kommt. Da hatte ich meine Welt! Das Thema Wasserknappheit macht Angst, es ist aktuell, aber vor allem liefert es eine Umgebung, in der sich wirklich alle Figuren fragen müssen: Wie soll ich handeln? Und das ist literarisch sehr ergiebig, das Schreiben machte ziemlich viel Spaß, trotz oder wegen des ernsten Themas.

Wie kam es zu der Entscheidung, einen dystopischen und keinen Gegenwartsroman zu schreiben?

Ich finde gar nicht, dass der Roman dystopisch ist in dem Sinn, in dem man dieses Genre sonst versteht. Es ist keine Apokalypse, kein „The Road“ von Cormac McCarthy, schon gar kein „Waterworld“-Trash mit Kevin Costner. „Ein guter Mensch“ beschreibt eine Welt, die der unseren eigentlich sehr nahe ist. Dinge funktionieren – noch. Und dieses Wort „noch“ ist sehr wichtig. Es gibt Wasserlieferungen, es gibt staatliche Strukturen – aber all diese Dinge knacken und knirschen an allen Ecken und Enden. Der Roman beschreibt also eine Umbruchssituation, und diese Situation kennen wir alle. Ich wollte unsere Gegenwart nehmen und ein wenig quetschen und drücken, bis Dinge klar und deutlich werden, die im Moment vielleicht noch gut versteckt sind.

Nun gibt es Klimawandelleugner an ganz hoher Stelle, wie z.B. den amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Was kann man tun, um diese Menschen vom Gegenteil zu überzeugen, außer gute Romane zum Thema zu schreiben?

Da gibt es zwei Antworten: eine pessimistische und eine optimistische. Die pessimistische Antwort: nichts. Das Thema Klimawandel macht Angst, Menschen fühlen sich machtlos – also ignorieren sie das Thema so lange, bis die Auswirkungen unumkehrbar sind. Die optimistische: sehr viel. Man kann und muss über dieses Thema reden, es nicht nur auf den Wissenschaftsseiten behandeln, sondern auch in der Kunst, in unserem Alltag. Ob sich letztendlich die pessimistische oder die optimistische Sicht durchsetzt? Keine Ahnung.

Bist Du ein optimistischer oder ein pessimistischer Mensch?

Ich fürchte, ich bin ein grundpessimistischer Mensch. Meine Freunde sagen sogar, ich wäre der pessimistischste Mensch, den sie kennen. Andererseits bin ich aber auch ganz fröhlich – ich glaube, man kann ausgelassen Spaß mit mir haben. Diese zwei Seiten widersprechen sich auch gar nicht. Wenn man immer nur das Schlimmste annimmt, wird man oft positiv überrascht!


Der Titel des Romans lautet, wie erwähnt, Ein guter Mensch. Was zeichnet Deiner Ansicht nach einen guten Menschen aus?

Darauf habe ich – um ehrlich zu sein – gar keine Antwort. Der Roman behandelt genau diese Frage: was ist ein guter Mensch? Jemand, der Strukturen des Überlebens aufrecht erhält? Jemand, der nach seinem Gewissen handelt? Jemand, der alles für das Wohlergehen seiner Familie und seiner Freunde tut? Und was, wenn diese unterschiedlichen Ansprüche einander „ins Gehege“ kommen, miteinander konkurrieren? Welcher Anspruch ist der wichtigste, welchen darf man auf keinen Fall aus den Augen verlieren? „Ein guter Mensch“ ist schwer zu finden – das steht auf jeden Fall schon mal fest.

 

In dem Roman taucht die Bewegung „Dritte Welle“ auf, die zur Wasserverschwendung in Zeiten der Wasserknappheit aufruft. Begeben sich die Mitglieder der Bewegung in den Zynismus? Gab es für Dich ein konkretes Vorbild für die diese Gruppe?

Die „Dritte Welle“ ist die Bewegung im Roman, die bisher die kontroversesten Reaktionen hervorgerufen hat. Manche Leser hassen die Mitglieder der Gruppe, andere können ihre Beweggründe nachvollziehen. Ich gestehe: ich gehöre zur zweiten Gruppe. Die „Dritte Welle“ setzt der Entbehrung und der Trockenheit den Überschwang entgegen, die Verschwendung. Warum? Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Vielleicht, um auf einen unerträglichen Zustand hinzuweisen. Vielleicht, um vor dem Untergang noch einmal zu feiern. Vielleicht, um dem Zynismus freien Lauf zu lassen. Die Figuren im Roman reagieren jedenfalls ganz unterschiedlich auf die Aktionen: mit Hass, Ablehnung, aber auch mit Verständnis, Zuneigung. Und so ging es bisher auch allen Lesern. Konkrete Vorbilder? Nicht wirklich, wobei ich diverse Protest- und Kunstbewegungen studiert habe, bis hin zu den Aktionen eines Christoph Schlingensief, den ich sehr verehre. Aber ich hoffe doch, dass die „Dritte Welle“ ein Eigenleben entwickelt hat!

Bist Du ein idealistischer Mensch? Und wenn ja, wie sehen diese Ideale aus? Findest Du Idealismus wichtig?

Ich glaube, ich bin manchmal sogar zu idealistisch. Ich erwarte mir – in der Kunst mehr noch als im Leben – eine gewisse Kompromisslosigkeit, ein Einstehen für das, woran man glaubt. Das wird dann schnell zu einer Sturheit, die mir das Leben ganz schön schwer macht. Aber – großes ABER! In mir steckt eben auch eine schlampige Seite, ich kann menschliche Schwächen irgendwie nur zu gut verstehen. Insofern habe ich Ideale, erreiche sie nicht immer, denke mir dann aber: Na gut, man kann eh nicht alles schaffen. Um es kurz zu machen: ich bin ein typischer Wiener.

Wann gewinnt Jürgen Bauer den Deutschen Buchpreis?

Ich habe gehört: 2021?! Im ernst: Wir Österreicher haben ja gar keine schlechte Quote beim Gewinnen des Deutschen Buschpreises, also nehmt euch in Acht!

Verfolgst Du die aktuelle Literatur? Hast du literarische Vorbilder, Lieblingsautoren und/oder Lieblingsromane?

Ja, ich lese sehr viel und sehr Unterschiedliches. Ich liebe Stephen King, ich laufe aber auch in jedes Stück von Elfriede Jelinek. Ich bin ein großer Fan von amerikanischen Romanen mit ihrer oft lakonischen, eleganten Sprache; ich habe aber auch Lieblingsautoren aus dem deutschsprachigen Bereich: Fabian Hischmann, Robert Prosser, ganz viele andere aus „meiner Generation“. Ich finde, Truman Capotes „In Cold Blood“ ist das beste je geschriebene Buch – und diese Überzeugung lasse ich mir von niemandem ausreden. Außer man bringt Steven Millhausers „Zaubernacht“ ins Spiel. Oder José Luís Peixoto. Du siehst: ich lese sehr eklektizistisch. Vorbilder jedoch habe ich sehr wenige. Ich möchte nichts kopieren, das andere schon besser gemacht haben.

Liest Du Kritiken Deiner Bücher und wie fühlst Du Dich dabei?

Ich arbeite ja auch im Theater und da sagen alle: ich lese keine Kritiken. Die Wahrheit aber ist: alle lügen. Also: Ja, ich lese Kritiken meiner Bücher. Immer ein seltsames Gefühl. Man exponiert sich mit einem Roman, macht sich nackt. Und dann kommen andere und zeigen mit dem Finger drauf. Aber ich hatte bisher das Glück, dass meine Bücher Rezensenten gefunden haben, die sehr genau, aber auch mit viel Wohlwollen geschaut haben. Es gab aber auch schon Momente – Sonntagvormittag vor dem Radio – in denen ich den Kopf in den Ofen stecken wollte. Aber so geht es wohl allen, die etwas veröffentlichen: mal hoch, mal tief. Solange die Hochs überwiegen passt es aber.

 

Was ist Deine Lieblingsinspirationsquelle?

Um ehrlich zu sein: Keine Ahnung. Ich schreibe gerne, mit viel Lust und dauernd. Ich schreibe journalistisch und ich schreibe Romane. Ich war nie ein gequälter Autor vor dem weißen Blatt Papier. Aber was mich dazu antreibt und inspiriert, das weiß ich selber nicht. Vielleicht ist das aber auch gut so.

Da Sounds & Books ein Online-Magazin auch für Musik ist, welche Stilrichtungen, Bands und Künstler bevorzugst Du?

Vor dieser Frage hatte ich Angst, weil es ein bisschen ist wie bei der Literatur: ich höre querbeet, ohne viel auf Stilrichtungen zu achten. Ich laufe in jedes Konzert von Scott Matthew, von seiner Stimme bekomme ich einfach nie genug! (Ein Song-Zitat von ihm eröffnet sogar „Ein guter Mensch“) Ich kann von Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ nach Hause kommen und Dolly Parton auflegen, die mit Kenny Rogers „Islands in the Stream“ singt. Und nein: einmal hören reicht nie! Ich bin ein alter Kitsch-Fan und höre John Denver und Mamma Cass. Dann packt es mich plötzlich und ich muss zu Missy Elliott tanzen! Oder zu Madonna. Ja, Madonna – was soll ich machen, ich liebe sie einfach. David Bowies Berlin-Alben gehen immer, ebenso wie Lana del Rey. Und die neuen Österreicher: von Ja, Panik zu Bilderbuch. Das geht alles nicht zusammen? Stimmt, macht aber trotzdem Spaß!

Vielen Dank für das Gespräch!

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