Mirko Bonné: Lichter als der Tag – Longlist Deutscher Buchpreis 2017

 

Ein exquisiter Roman über Freundschaft, Liebe und Mut

„Everything dies baby that’s a fact / But maybe everything that dies somedays come back“. Es sind die Zeilen aus Bruce Springsteens Song „Atlantic City“, an die Raimund Merz immer wieder denken muss. Zeilen, die das Leben des 50-jäjrigen Redaktionsangestellten ebenso  bestimmen wie das Bild Weizenfeld im Morvan des französischen Malers Camille Corot, eines Wegbereiters des Impressionismus. Der Song „Atlantic City“ ist auf Springsteens deprimierend-poetischen Album Nebraska erschienen und an Corots Gemälde zieht Merz „der Schatten, der körpergleich, dunkel und doch durchscheinenden auf den sommerlichen Bäumen lag“, magisch an. Doch sind weder Song noch Bild Schuld an den offensichtlichen Depressionen des Hauptprotagonisten von Mirko Bonnés neustem Roman Lichter als der Tag.

Sounds & Books_Bonne_Lichter_als_der_TagEs ist das tief in Merz sitzende Gefühl und das Wissen, nicht mit der Frau seines Lebens zusammen zu sein. Nachdem ihn das Licht unter dem Stahl-und-Glas-Dach des Hamburger Hauptbahnhofs an Corots Bild erinnert hat, sieht er zufällig seine große Liebe Inger, zu der er seit gut fünfzehn Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Merz ist mit der Kieferchirurgin Floriane verheiratet und Vater zweier Töchter. Bereits zu Teenagerzeiten waren er, Floriane, Inger und Moritz sehr gute Freunde. Zunächst war Moritz mit Floriane zusammen, und trotz der großen Verbundenheit zwischen Inger und Raimund, entschied sich Inger für Moritz und Raimund landete bei Floriane. Die Wege der Paare trennten sich, trafen Jahre später in Berlin wieder aufeinander. Raimund mit Inger fanden heimlich wieder zusammen, Inger wurde schwanger, blieb aber bewußt bei Moritz.

Die Paarfreundschaft indes zerbrach endgültig, für Floriane ist Inger seitdem ein rotes Tuch. Nach dem Blick auf Inger und der gemeinsamen Tochter Pippa, die er nie kennenlernte, reißen alte Wunden in Raimund auf, die sich noch verstärken, als er seinen Journalisten-Kollegen Bruno nach Stuttgart begleitet, wo er zu einem folgenschweren Entschluss kommt, denn „es war nie zu spät, auf die Suche nach etwas Verlorenem zu gehen.“ Raimund Merz ist im Kern ein Romantiker. Romantiker handeln vielleicht nicht immer rational und logisch, setzen sich aber manchmal über gesellschaftliche Konventionen hinweg und werden im Glücksfall für ihren Mut belohnt. Und ein klein wenig Glück erfährt auch Raimund Merz.

Der in Hamburg lebende Mirko Bonné, der mit seinem Roman Wie wir verschwinden bereits auf der Long- und mit Nie mehr Nacht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand, beweist auch mit Lichter als der Tag, dessen Titel aus einem Gedicht von Andreas Gryphius entlehnt ist, seine erzählerischen Qualitäten. Lichter als der Tag ist ein exquisiter Roman über Freundschaft, Verrat, Liebe, Schmerz und Erlösung. Bonnés Variation von Goethes Wahlverwandtschaften berührt den Leser zutiefst, eine bewegende, anmutige und ästhetische Erfahrung, ein melancholisch-literarisches Heilsversprechen. So eindrücklich wie die schönsten impressionistischen Bilder, so poetisch wie Bruce Springsteens Meisterwerk Nebraska. Das Erreichen der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2017 ist für Lichter als der Tag geradezu eine Pflicht. Und dann folgt am 09.10. bei der Bekanntgabe des Preises vielleicht die Kür für dieses ausgesprochen einnehmende Buch.

Mirko Bonné: „Lichter als der Tag“, Schöffling & Co., Hardcover, 336 Seiten, 978-3-89561408-8, 22 €.

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