Georg M. Oswald: Alle, die du liebst – Roman

 

Ein wendungsreicher Vater-Sohn-Konflikt  

Der Anwalt Hartmut Wilke ist ein Vorzeigekarrierist. Erfolgreiches Studium, Teilhaber einer Kanzlei, Ehefrau, drei Kinder, die ein oder andere Million auf dem Konto und seine wesentlich jüngere Assistentin als Geliebte. Mit Anfang fünfzig ist Wilke ein gemachter Mann, doch sein Kartenhaus bricht jäh zusammen. Er beichtet seiner Frau das Verhältnis, es folgt eine für Wilke teure Scheidung und weil seine Anwaltskanzlei auf einem zwielichtigen und am Rande der Legalität gebauten Firmenkonstrukt zu Geld gekommen ist, schaltet sich die Staatsanwaltschaft ein, um wegen Steuerhinterziehung zu ermitteln. Mit seinen Kindern hat er nur sporadischen Kontakt, von seinem ältesten Sohn, Erik, der auf einer Insel vor Kenia eine Strandbar betreibt, hat er sich längst auseinandergelebt.

Doch ausgerechnet Erik, dem er das Eigenkapital zum Kauf der Bar verweigerte, lädt ihn zu einem Besuch ein. Mit dem Eintreffen Hartmuts und seiner Freundin Ines auf dem fremden Kontinent beginnt Georg M. Oswald seinen neuen Roman Alle, die du liebst. Lange hat sich Hartmut Wilke gegen die Reise nach Kiani Island gesträubt, in eine Gegend, in der die von ihm als Anwalt gewohnten Rechte und Ordnungen aufgehoben sind. Aber der geplanten Versöhnung mit Sohn Erik zuliebe springt er über seinen Schatten. Die Befürchtungen indes werden wahr und münden nach und nach in einen bitteren Alptraum, der den Vater-Sohn-Konflikt in neue Sphären treibt.

Erik scheint in dubiose Geschäfte mit dem zwielichtigen Strippenzieher Mister Jack, der vor seinen Steuerproblemen von Deutschland nach Kiani floh, involviert zu sein und versucht seinem Vater ein Haus zu verkaufen. Das Gesetz wird von einem Polizeigeneral ausgeübt, der am ersten Abend aus fadenscheinigen Gründen Ines‘ Smartphone konfisziert. Eines Tages liegt ein Massai tot vor der Hoteltür, Schüsse fallen, terroristische Rebellen eines Warlords, den keiner zu Gesicht bekommt, nehmen Hartmut, Ines und ein paar andere als Geiseln gefangen. Georg M. Oswald erzählt die ganze Geschichte aus Hartmut Wilkes Perspektive, so dass man auf seine Mutmaßungen angewiesen ist.

Viele Machenschaften auf Kiani Island bleiben diffus. Ist Erik, der sich dreißig Jahre lang durchs Leben lavierte, seinem Vater jedoch beweisen möchte, dass er, zwar als Aussteiger weit weg von der Heimat, aber immerhin, etwas Vorzeigbares auf die Beine stellen konnte, in die Geiselnahme, die schwer nach einer Falle riecht, verwickelt? Oder gehört sie zu einem perfiden Racheplan von Hartmuts Exfrau Carla? Immerhin beträgt die bei Hartmut Wilke eingeforderte Lösegeldforderung so ziemlich exakt dem Betrag auf seinem Kontostand. Georg M. Oswald, und mit ihm sein Hauptprotagonist Hartmut Wilke, balanciert in seinem neuen Buch auf dem Drahtseil zweier Extreme.

Der sozialisierten, aber saturierten westlichen Welt stellt er eine tyrannisch-anarchische gegenüber und beiden muss sich der teils larmoyante, teils analytisch die Sachlage beurteilende Wilke stellen. Die Konfrontation mit seinem Sohn löst eine Spirale an Ereignissen aus, die ihn zum Umdenken zwingen und eine andere Sicht auf sein Leben ermöglichen. Mit einem nüchternen Erzählstil, aber mit Finessen des Spannungsromans operierend, lotet Georg M. Oswald, der bis Ende 2016 für einige Jahre den Berlin Verlag leitete, vorzüglich die Psyche seiner Hauptfigur Hartmut Wilke aus. Ein geistreicher und nachhallender Roman.

Georg M. Oswald, „Alle, die du liebst“, Piper Verlag, Hardcover, 208 Seiten, 978-3-492-05752-3, 18 €.

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