Deep Purple live in Hamburg – Konzertreview

 

Die alten Hardrock-Haudegen lassen es krachen

Das Warten auf „Smoke On The Water“ dauert knapp 80 Minuten. Dann endlich erklingt am 30.05.2017 der berühmteste Gitarren-Rock-Riff aller Zeiten durch die Hamburger Barclaycard-Arena. Das Publikum gerät nicht in Ekstase, schließlich ist die Hälfte davon damit beschäftigt, diesen Augenblick mit ihrem Smartphone festzuhalten, aber selbstverständlich brandet ein frenetischer Jubel aus, als Steve Morse in die Saiten greift. Beste Unterhaltung boten Deep Purple schon vorher.

Der Einstieg in das Hamburg-Konzert der „The Long Goodbye Tour“ ist mit dem monströsen „Time For Bedlam“ von neuen Album Infinite, mit dem Geschwindigkeitsrausch von „Fireball“, dem deftigen „Bloodsucker“ und dem Klassiker „Strange Kind Of Woman“ schlicht spektakulär. Ian Gillan presst, was das Zeug hält, oder seine Stimmbänder mit 71 Jahren noch hergeben, Morse und Keyboarder Don Airey setzen mit ersten Soli Akzente, Bassist Roger Glover und Schlagzeuger Ian Paice, einziges Ursprungsmitglied der Hardrock-Institution, geben Gas.

Von diesem Beginn müssen sich alle erstmal erholen, und so fällt der Mitteilteil des Deep Purple-Auftritts im Vergleich zum Beginn und dem Ende etwas ab. Was schlicht daran liegt, dass die neueren Songs nicht an die Klasse der alten heranreichen. Das ist nicht weiter tragisch, aber „Johnny’s Band“, „Uncommon Man“, „The Surprising“, „Birds Of Prey“ und „Hell To Pay“ sind lediglich gute und solide Deep Purple-Ware. Ausreichend, um die Virtuosität der einzelnen Bandmitglieder zu unterstreichen, aber die Halle zum Kochen bringen sie nicht.

Unterbrochen wird die Passage der neuen Songs von „Lazy“, dessen Orgelintro fast schon zu einer narzisstischen Einlage Aireys gerät. Gillans Gesang ist hier nicht ganz so prägnant wie das Zusammenspiel seiner Kollegen, doch für einen Urschrei reicht es allemal. Nachdem Don Airey seine Fingerfertigkeit an den Tasteninstrumenten zwischen Kirchenorgelpomp und „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ zur Schau gestellt hat, gelingt dem Quintett ein irrsinnig gutes  „Perfect Strangers“ und bei „Space Truckin‘“, von Gillan mit einem teuflischen Lachen eingeleitet, läuft die Maschinerie zwischen Glover und Paice auf Hochtouren.

Aufgrund der ständigen Gitarren- und Keyboardsoli stehen die beiden ein wenig im Schatten von Morse und Airey, die sich auch während der ersten Zugabe „Hush“ einen instrumentalen Schlagabtausch liefern. Zwischen „Hush“ und dem donnernden „Black Night“ dürfen Glover und Paice dann als Duo den Applaus einheimsen. Die Power bei „Smoke On The Water“ als Höhepunkt vor den Zugaben ist noch da, einzig das Fehlen des besten Deep Purple-Songs „Child In Time“ hinterlässt einen Wermutstropfen. Mal sehen, wie lange die „Goodbye Tour“ von Deep Purple dauert, vielleicht besteht ja noch die klitzekleine Chance, diesen ewigen Klassiker live zu Gehör zu bekommen.

Kommentare

  • <cite class="fn">Frank Tofern</cite>

    Alles nachvollziehbar geschrieben. Allein: das war in meinem Ohren ein super Konzerterlebnis. Purple spielen mit Freude, technisch klasse und bilden auf der Bühne eine Band, die sich schätzt und von daher 95 % der Anwesenden begeistert hat.
    Natürlich „flippen“ nicht alle aus – warum auch, das Zuhören macht Freude. Die ewige Kritik , das die neuen Songs nicht mithalten ist aus meiner Sicht „Kopfgerede“ von distanzierten Beobachtern. Es kommt bei jeder Band auf, die ewige Welthits hat. Man schreibt halt nicht jeden Tag „smoke on..“. + die neuen Songs fügten sich prima ein. Es war ein toller Abend. Tanx.

  • <cite class="fn">Giorgio Karlstetter</cite>

    Herr Schwarz, man sollte nicht von jedem Konzertgänger voraussetzen, er/sie sein Detailspezialist und Megafan. Ich zähle nicht zu den Erbsenzähler, sondern freue mich, wenn jemand was darüber schreibt, was ich nachvollziehen kann. Und übrigens(Zitat) „… mit welcher Interaktion, welchem musikalischen Nachdruck, welcher Virtuosität und mit welcher Dynamik die Band zu Werke geht…“, da fallen mir durchaus auch noch andere Künstler ein (zuletzt z. B. die US-Band VENICE in Bonn), man sollte nicht nur von seinem eigenen Horizont ausgehen, den man kennt und damit alles andere pauschal werten.

  • <cite class="fn">Matthias Weniger</cite>

    Danke Herr Schwarz, das war treffend.
    MfG
    Matthias Weniger

  • <cite class="fn">Karsten Blaas</cite>

    Ich finde, die Rezension trifft im Wesentlichen zu. Es war ein sehr gelungener Abend, v.a. weil die Band riesige Spielfreude zu haben schien. Über die Songauswahl lässt sich wie immer trefflich streiten. Ein neues Stück weniger und ein Speed King mehr wäre auch OK gewesen.

  • <cite class="fn">Tilo Schwarz</cite>

    Sehr geehrter Herr Otremba,

    Sie sind mein Jahrgang, und hatten darum durchaus Zeit, sich auf das Thema Ihres Artikels vorzubereiten. Auch für Konzertkritiker gilt, dass Sachkenntnis eine gute Basis für die Textproduktion ist. Child in time spielt die Band seit 24 Jahren nicht mehr (1993!) – und die Gründe sind in der Fachwelt mehr als hinreichend diskutiert.
    Worauf Sie hätten eingehen können, wäre der Umstand gewesen, mit welcher Interaktion, welchem musikalischen Nachdruck, welcher Virtuosität und mit welcher Dynamik die Band zu Werke geht. Und dies einfach mal vergleichen mit allen Ihnen bekannten Rockbands. Um dann festzustellen, dass da niemand ist. Weder jung noch alt. Und das könnte man, wenn mann denn könnte, ja auch würdigen.
    Meine Worte sind hart, ich weiß, aber über Deep Purple zu schreiben ist ein Privileg, dessen man sich bewusst sein sollte.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Tilo Schwarz

    • <cite class="fn">Gérard Otremba</cite>

      Sehr geehrter Herr Schwarz, mit Ihrem Kommentar muss und kann ich als Journalist und Kritiker gut leben, kein Problem. Dass Deep Purple „Child In Time“ seit langer Zeit nicht mehr spielen, war mir beim Schreiben des Artikels durchaus bewußt. Ich habe das Fehlen des Songs auch lediglich als einen „Wermutstropfen“ bezeichnet. Man soll ja niemals nie sagen und die kleine Hoffnung auf einer „Long Goodbye“-Tour kann man sich doch bewahren, auch wenn sie nicht eintrifft. Ansonsten habe ich den Auftritt nun alles andere als verrissen und Vokabeln wie „spektakulär“, „Virtuosität“ und „Power“ und andere mehr doch benutzt, um die Qualität der Band, einzelner Mitglieder und des Konzertes an sich zu würdigen. Mit freundlichen Grüßen, Gérard Otremba

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