Jonathan Safran Foer: Hier bin ich – Roman

Hier bin ich von Jonathan Safran Foer schwankt zwischen Brillanz und Langeweile

Am Ende der knapp 700-seitigen Lektüre von „Hier bin ich“ bleibt die große Ambivalenz. Nach Alles ist erleuchtet und Extrem laut und unglaublich nah ist Hier bin ich der dritte Roman des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Safran Foer, mithin seien erste Prosaveröffentlichung seit zehn Jahren. Ein von Foer programmatisch gewählter Titel, zitiert er einerseits das Alte Testament und impliziert andererseits mindestens einen ausgesprochenen Selbstdarsteller als Protagonisten. Es sind aber mindestens deren fünf, denn so viele Köpfe hat der Kern der in Washington D.C. lebenden Familie Bloch. „Wir sind fünf Schlauköpfe“, bezeichnet Julia Bloch ihre Familienmitglieder dementsprechend treffend.

Julia Bloch ist Architektin, deren Entwürfe nie verwirklicht worden sind und die Frau von Jacob Bloch, einst ein literarisch hochbegabter Schriftsteller, der nunmehr als Schreiber einer Fernsehshow für das familiäre Einkommen sorgt. Gemeinsam ziehen sie drei Söhne groß, den 13-jährigen, kurz vor der Bar-Mizwa stehenden Sam, den zehnjährigen Max und den im Kindergartenalter befindlichen Benjy. Julia und Jacob, beide Anfang 40, haben ihre Ideale im Verlauf der Zeit einer bürgerlich-intellektuellen Existenz geopfert, gleichzeitig jedoch zerbricht ihre eheliche Beziehung. Foer beginnt seinen neuen Roman in brillanter Manier.

Sam steht kurz vor einem Schulverweis, weil man bei ihm ein Zettel mit üblen Schimpfwörtern (u.a. auch das N-Wort) gefunden hat. Sam bestreitet, den Zettel geschrieben zu haben, seine Eltern müssen beim Rabbi die Wogen glätten und es entspinnt sich ein witziger und geistreicher Schlagabtausch. Doch was am Anfang von Hier bin ich so atemberaubend funktioniert, verselbständigt sich im Verlauf des Romans. Die zahlreichen, häufig kaum nachvollziehbaren Dialoge ermüden auf Dauer, Julia und Jacob zerreden ihre Beziehung in einer für Außenstehende teilweise befremdlichen Codierung. Auch die neunmalklugen Söhne, allen voran Sam, der nur auf Wunsch seiner Mutter zur Bar-Mizwa geht, damit aber nichts anfangen kann und scheinbar viel lieber einen persönlichen Rekord im Onanieren aufstellt möchte und ansonsten als Latinomädchen Samantha in der virtuellen Welt von Other Life abhängt, übertreffen sich mit einem für ihr Alter sehr ambitionierten Wortschatz. Das ist manchmal charmant, häufig jedoch nervig.

Die Ereignisse im Leben der Blochs überschlagen sich plötzlich. Julia findet ein Zweithandy Jacobs, auf dem sie einen pornographischen, nicht mit ihr geführten Sex-Talk entdeckt. Kaum ist Jacobs Cousin Tamir mit seinem jüngsten Sohn aus Israel zur Sams Bar-Mizwa angekommen, verwüstet ein verheerendes Erdbeben sein Heimatland. Die arabischen Länder nutzen das Chaos und erklären Israel den Krieg. Da sich Julia nicht klar zu ihm bekennt, entschließt sich Jacob, mit Tamir, dessen Sohn in der israelischen Armee weilt, nach Israel zu fliegen und als Soldat zu kämpfen. Darüber hinaus begeht Jacobs Großvater, der Holocaustüberlebende Isaac, auch noch Selbstmord. Hier bin ich enthält überragende Passagen wie die Rabbi-Szene bei Isaacs Beerdigung sowie diverse pointierte Gedankengänge Jacobs.

Aber es ist auch ein Abarbeiten Jonathan Safran Foers an den Themen Familie, Religion, Identitätsfindung und Weltpolitik, dem vielfach die Leichtigkeit fehlt. Gleichsam ist Hier bin ich natürlich auch ein Trennungsroman, der die gescheiterte Beziehung Foers zu seiner ehemaligen Partnerin und Mutter der gemeinsamen Kinder, der Schriftstellerin Nicole Krauss thematisiert. Jonathan Safran Foer hat mit Hier bin ich einen überbordenden, sicher nicht ganz einfachen, den Leser fordernden Roman geschrieben, der phasenweise mitreißend erzählt ist, sich allerdings phasenweise auch im banalen Alltagsleben verliert und langweilt.

Jonathan Safran Foer: „Hier bin ich“, Kiepenheuer & Witsch, aus dem amerikanischen Englisch von Henning Ahrens, Hardcover, 688 Seiten, 978-3-462-04877-3, 26 €.  

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