Chris Thile & Brad Mehldau – Album Review

Eine zeitlose und überwältigende Offenbarung

Reine Tasten- und Saiten-Duos sind auch im Jazz eher eine exotische Seltenheit. Piano-Großmeister Brad Mehldau aber mag diese Instrumentenkombination. Mit Gitarrist Pat Metheny hat er bereits vor Jahren ein entsprechendes Album aufgenommen. Jetzt also auch mit Chris Thile. Der ist eigentlich genrefremd. Er war Kopf der famosen Bluegrass-Band The Punch Brothers, spielt Mandoline und singt. Der universalmusikalische Mehldau war schon lange ein Bewunderer des überschwänglichen Spiels von Thile. Als die beiden 2013 zum ersten Mal gemeinsam spielten, soll es sofort gefunkt haben. Zweimal gingen die beiden auf Tour und hinterließen begeisterte Zuhörer. Zum Glück entschieden sie sich, auch ins Studio zu gehen. Denn diese Platte ist nichts weniger als eine Offenbarung.

Zwölf Stücke haben Mehldau und Thile eingespielt, eine Mischung aus Eigenkompositionen und Coverstücken, unter anderem von Bob Dylan und Elliot Smith, Joni Mitchell und Fiona Apple. Es haftet allen Songs eine Leichtigkeit an, ein Zauber, eine Tiefe, die einem streckenweise den Atem raubt. Ob sie sich in halsbrecherischem Tempo durch „Tallahassee Junction“ jagen, eine bedrohliche Atmosphäre beschwören wie in „Scarlet Town“ oder swingen wie in „Daugther Of Eve“: Mehldau und Thile weben ihr Spiel ineinander, werden eins und treiben sich zu Höchstleistungen. Die Rhythmus- und Solorolle tauschen sie mit blindem Verständnis, dass es einem Jubelschreie entlockt. Dass Mehldau der stilsicherste und ausdrucksstärkste Pianist seiner Generation ist, weiß man. Diesem Ruf wird er auch hier mit wagemutigen Akkord-Improvisationen und sanftem Anschlag mühelos gerecht.

Mehr noch: Mehldau ist in dieser Zweier-Formation aus der Reserve gelockt, betritt ungewohntes Terrain und droht vor Spielfreude geradezu zu platzen. Der heimliche Star des Albums aber ist Thile. Welche Klänge der MacArthur-Preisträger seiner Mandoline entlockt, ist spektakulär. Schwindelerregend schnell wechselt er Tonalität und Ausdruck, drückt mal aufs Tempo und dann die Slow Motion-Taste. Und auch als Sänger gibt er eine mehr als gute Figur ab, ringt selbst der Dylan-Weise „Don’t Think Twice, It’s All Right“ neue Facetten ab. Und so reiht sich Höhepunkt an Höhepunkt. Den schönsten Moment haben sich die beiden für den Schluss aufgehoben. Wenn sich die vier Minuten und 21 Sekunden von „Tabhair Dom Lamh“ ihrem Ende zuneigen, ist das Herz weit geöffnet und der Puls ganz ruhig. Lange schon nicht mehr hat ein Stück Musik so ergreifen können wie dieses. Es ist das große Finale eines zeitlosen und überwältigenden Albums. Mögen sie noch weitere folgen lassen.

„Brad Mehldau & Chris Thile“ ist am 27.01.2017 bei Nonesuch / Warner Music erschienen.

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