Lucinda Williams live in Hamburg – Konzertreview

Superbe und sehnsüchtige Songs der Americana-Lady Lucinda Williams im Hamburger Kampnagel

Text und Fotos von Gérard Otremba

Während seines Support-Auftritts für Lucinda Williams erzählt der Hamburger Songwriter Dirk Darmstaedter von Musik, die Leben retten kann. Bei ihm war es der Song „This Charming Man“ von The Smiths, der ihm im pubertierenden Alter das Gefühl gab, irgendwie doch dazuzugehören. Dirk Darmstaedter ist nun 51 Jahre alt, da darf man schon mal über seine Jugendzeit räsonieren und Songs wie das Titelstück seines neuesten Albums „Beautiful Criminals“ schreiben, in dem er seine Teenagerschwärmerei für Prinzessin Stephanie von Monaco verarbeitet, das er an diesem Abend mit einer kleinen Geschichte garniert und allein mit der akustischen Gitarre spielt. Die später bei Lucinda Williams verstärkt aufkommenden melancholischen Sehnsuchtsgefühle fängt Darmstaedter bereits mit seinen Songs „Pop Guitars“ und „This Is Where I Leave You“ und „Five Years“ ziemlich perfekt ein.

kDarmstaedter 2016

Leben retten können auch Songs von Lucinda Williams. Die sind vielleicht nicht so bekannt wie die Hits der Smiths aus den 80er Jahren, aber spätestens seit ihrem 1998 veröffentlichten, glorreichen Album Car Wheels On A Gravel Road liefert die 63-jährige amerikanische Songwriterin qualitativ wertvolle Platten mit genügend lebensrettenden Potential. Einige davon präsentiert Lucinda Williams bei ihren Auftritt am 26.06.2016 live im Hamburger Kampnagel. Begleitet wird die grandiose Americana-Lady lediglich von E-Gitarrist Stuart Mathis, der einst bei Jakob Dylans Band The Wallflowers Mitglied war und an diesem Abend für Raum und Atmosphäre sorgt.

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„Essence“, der Titelsong ihrer gleichnamigen, 2001 erschienenen Platte, ist zum Beispiel so eine potentielle lebensrettende Komposition, von Williams und Mathis beim Gig im Kampnagel zu einem außergewöhnlichen, gespenstischen Klagelied interpretiert, das die L.A.-Noir-Stimmung eines David Lynch-Films evoziert. Oder das beklemmende „The Ghosts Of Highway 20“, der Titeltrack ihres aktuellen Albums, den Williams allein auf der Akustischen vorträgt und als einen „Car Wheels On A Gravel Road“ (das sie direkt davor spielt), Part 2 vorstellt. Und natürlich das tief bewegende „Lake Charles“, eine persönliche Reminiszenz von Lucinda Williams an ihren Heimatort in Louisiana, das spätestens in der Live-Fassung wahrlich zu Tränen rührt.

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Die oben erwähnte melancholische Sehnsucht, gepaart mit einem Hauch Romantik, verdichtet sich mit Songs wie „Drunken Angel“, „People Talkin‘“, „When I Look At The World“ und „Can’t Close The Door On Love“. Selten nur sucht Lucinda Williams den Blues („West Memphis“, „Doors Of Heaven“) oder den Rock’n’Roll („Can’t Let Go“, „Honey Bee“). Ihre Songs sind zwar von Hoffnungs- und Trostlosigkeit geprägt, aber zum Erbarmen schön.  Omnipräsent ist beim Auftritt im Kampnagel ihre dem amerikanischen Twang hingebungsvoll verhaftete Stimme, die kräftig und vital wirkt. Mit dem hinreißenden J.J. Cale-Cover „Magnolia“ und einer traumhaft schönen Version der traurigen Velvet Underground-Ode „Pale Blue Eyes“ beschließt Lucinda Williams ein faszinierendes Konzert, bei dem das Songwriting im Mittelpunkt steht und sie die reduzierte Melange aus Rock, Blues und Country überaus in verführerischer Art und Weise auf den Punkt bringt.

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