A Summer’s Tale-Festival – Ein Rückblick

Lachs-Döner, „My Generation“ und Family Yoga – es gibt kein richtiges Leben im falschen. Eine kleine Nachbetrachtung zu „A Summer’s Tale“ (Luhmühlen, 05.-08. August 2015)

Von Sabine Ritter (Beitragsfoto: A Summer’s Tale-Festival)

 „People have the power“ jubelte Patti Smith am dritten Festivaltag vor sommerlichem Abendhimmel ins enthusiasmierte Publikum. In allervornehmster Protestmanier wetterte sie kraftvoll gegen „those fuckin’ missiles“ und „goddamned bombs“, forderte eindrücklich zu Widerstand auf – und die Menge war ergriffen und restlos begeistert. Zumal die Sängerin zuvor in der „Elegie“, dem letzten Stück von „Horses“, das immer noch sensationelle Album wird von Patti Smith und ihrer Band auf der Tour zum vierzigsten Platten-Geburtstag in voller Länge gespielt, voll ehrlichem Pathos die Namen verstorbener Freund_innen von Jimi Hendrix über Robert Mapplethorpe bis Amy Winehouse deklamiert hatte. Und nach einem Velvet-Underground-Intermezzo der Band ihre ureigene, famos aggressive Version des Who-Klassikers „My Generation“ in die Köpfe geschrien. Ein großartiger Auftritt einer unfassbar charismatischen Künstlerin, ein Hauch von Widerborstigkeit und Punk … in einer idyllischen Welt, die aus kalkuliertem Nachhaltigkeitsmerchandising für Zigaretten aus biologischer Produktion und vegane Burger zu astronomischen Preisen hergerichtet war. Beim „A Summer’s Tale“-Festival in Luhmühlen in der Lüneburger Heide hat alles, wirklich alles geklappt, war adrett, sauber und geschmeidig – inklusive der Bio-Kompost-Toiletten. Und am Ende wurde man per Umfrage des Veranstalters gebeten zu rekapitulieren, welche Marken auf der Veranstaltung präsent gewesen sind, wie man das Komfortcampen mit Frühstücksbuffet gefunden habe und wie das Angebot „A Summer’s Cuisine“, ein vorab buchbares 4-Gänge-Menu mit feinen Weinen in unmittelbarer Nähe der Konzertbühne, angekommen sei.

Die Gentry aus Ottensen, der Schanze und dem Bremer Viertel hat seit dem Sommer 2015 ihr eigenes Open Air – mit Kunst, Kultur, Soja Latte und, in der Tat, toller Musik. In Zeiten, in denen Flüchtende aus dem Nahen Osten oder aus afrikanischen Ländern Massenzelte in einer Stadt mit massivem Wohnungsleerstand angeboten bekommen und in denen Europäer_innen unter der Knute der deutschen Austeritätspolitik ihren Alltag bewältigen müssen, versammelt sich die Weiße Wohltätigkeitstee trinkende Mittelschicht und nimmt klaglos bis euphorisch Preise für Lebensmittel in Kauf, die prohibitiven Charakter haben: ein trockenes Brötchen für 1,50 Euro. Sich auf diesem Fest ernährt und ein paar Getränke konsumiert zu haben, erzeugt Distinktionsgewinn. Leute mit kleinem Budget, die von den Musikangeboten angesprochen angereist waren, äußern sich von solch buchstäblicher Exklusivität genervt; Gutverdienende, die sich ein harmonisches Wohlfühlwochenende arrangiert hatten, entgegnen lakonisch „Die sind halt nicht die Zielgruppe“. Nein, auch bei diesem Fest bleibt man lieber unter sich und freut sich über ordentlich bewachte Nachtruhe – nachhaltig.

Während Patti Smith den Rock‘n‘Roll für das Politische fruchtbar gemacht hat und die zauberhafte Zaz, deren Performance aufgrund der unglücklichen Ansetzung nach Patti Smith, trotz aller Grandezza mit Bigband und hervorragenden Sängern, nur verblassen konnte, die Musik auch als Rahmung ihrer Empowermentgeschichte vom Kolibri (der, so klein er ist, einen Brand zu löschen versucht) präsentierte, schenkten die Kellner_innen im Cuisinezelt den passenden Wein zum dritten Gang nach oder erwarb man authentische Handwerkskunst aus Eppendorfer Boutiquen. Nachdem man zuvor den Sommelierworkshop absolviert und auf der Yogamatte gelegen hatte.

Der Kapitalismus hat den Protest und das Weltverbesserungslied übernommen und, genau wie bunte Stadtviertel und schmuddelige Kneipen, mit Hygienepatina überzogen. Man freut sich, lacht und tanzt und schläft gut. Dass die Kultur wie alle anderen Lebensbereiche auch den Logiken von Markt und Verwertung unterworfen ist – sich unterworfen hat!? – ist keine neue Erkenntnis. Überdeutlich und schmerzhaft beeindruckend aber war in Luhmühlen (über die in der SZ getroffene Feststellung „Früher war mehr Dosenbier“ hinausgehend) zu beobachten, wie „Der neue Geist des Kapitalismus“ (Boltanski / Chiapello) die einstmals der Subversion und Gegenkultur zugehörigen Werte Kreativität, Autonomie und Freiheit in sich aufgesogen hat: in diesem Sinne hat Patti Smith, „Godmother of Punk“, wie sie einst von Kate Davy genannt wurde, auf einem zutiefst neokonservativen Festival einen fulminanten Auftritt gehabt, dessen Störpotential vom neuen Biedermeier anstandslos als Wellnessevent absorbiert wird. „Es gibt“, das ist eine sehr alte Erkenntnis Adornos, „kein richtiges Leben im falschen“.

 

Kommentare

  • <cite class="fn">Alma</cite>

    Ich war vor Ort und das Patti Smith Konzert war in der Tat berauschend für Jung und Alt gleichermaßen. Ich möchte keine Lanze brechen für das Eventmanagement und ich finde auch, dass das Preis-Leistungsverhältnis für die Nahrungsmittel nicht stimmte, aber den „neuen Geist des Kapitalismus“ habe ich dort nicht wahrnehmen könne. Was soll das überhaupt sein? Ich habe keine Formen der Ausbeutung oder Umweltverschmutzung erkennen können, finde aber auch, dass eine Politisierung des Festivals nötig ist, d.h. nicht nur Urban Gardening Projekte und Espandrillos nähen, sondern auch Infoveranstaltungen zu TTIP, u.a. Themen. M.E. hat das Festival Potenzial und wird sich formen lassen. Ob die Ideale anderer Festivals (welche wären das?) hier der Gewinnmaximierung unterworfen wurden, kann ich schlecht beurteilen.

  • <cite class="fn">gerhard</cite>

    „People have the Power“ zieht bei mir ehrlich gesagt schon länger nicht mehr, den Song fand ich immer durchschnittlich und spätestens seit der gescheiterten Occupy-Bewegung und der gleichzeitigen neoliberalen Restaurierung des Bankenwesens ist auch der Inhalt etwas schal geworden. Den Velvet-Underground-Teil fand ich beim München-Konzert ziemlich nichtssagend. Sonst natürlich ein sehr schöner Bericht, viele Grüße,
    Gerhard
    https://gerhardemmerkunst.wordpress.com/2015/07/15/patti-smith-tollwood-muenchen-2015-07-13/

    • <cite class="fn">Gérard Otremba</cite>

      Danke! Ich war ja nicht vor Ort (muss ja für den Marathon trainieren). Ist ein Gastbeitrag von Sabine Ritter. Und ich habe Patti Smith immer noch nicht live erlebt…Viele Grüße, Gérard

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