T.C. Boyle: Hart auf Hart – Roman

Ein fesselnder und diskurswürdiger neuer Boyle-Roman

von Gérard Otremba

Wenn es hart auf hart kommt, muss man gewappnet sein. Gewappnet und bewaffnet ist Adam Stensen, die Hauptfigur in Hart auf Hart, T.C. Boyles neustem Roman, auf und für alle Fälle. Der 25-jährige, schizophrene Paranoiker, der schon als Jugendlicher in Mitschülern Aliens sah und sich mit Vehemenz auf sie stürzte, nach Schulverweisen und Therapiesitzungen auch von seinen Eltern mehr oder weniger als hoffnungsloser Fall abgestempelt, „der Junge, der allen so viel Ärger gemacht hatte“, nennt sich nun „Colter“, frei nach dem Trapper John Colter, der im ausgehenden 18. Jahrhunderts Amerikas Westen erkundete. Adam wird zum modernen Waldläufer nach dem Vorbild John Colters, ein vereinsamter, nahezu isolierter Einzelgänger, der sich in den Wäldern Nordkaliforniens ein Schlafmohnfeld anlegt und zwischen der Wildnis und einem kleinen, ehemals von seiner Großmutter bewohnten Haus, pendelt. Auf einem seiner Wege nimmt ihn die gut 15 Jahre ältere Sara Hovarty Jennings per Anhalter mit. Sara ist eine bekennende Sovereign Citizen, lebt eine extreme Freiheitsdefinition aus und handelt sich immer wieder Scherereien mit staatlichen Behörden ein.

„Hatte sie den Sicherheitsgurt angelegt? Nein, hatte sie nicht, und sie würde es auch nicht tun, niemals. Diese Gurtpflicht war bloß eine weitere Schikane der Illegitimen Regierung des Amerikas der Konzerne, die 1933 den Goldstandard aufgegeben und ihre Bürger zu Bürgen gemacht hatte, damit sie sich immer mehr Geld leihen konnte. Aber sie war keine Untertanin. Sie war eine souveräne Bürgerin, in Amerika geboren und aufgewachsen, und sie würde weder jetzt noch sonst irgendwann eine unrechtmäßige Autorität akzeptieren. Also hatte sie den Sicherheitsgurt nicht angelegt.“

Probleme bei den nächsten Fahrzeugkontrollen sind vorprogrammiert. Sara und Adam gehen ein Verhältnis ein, das sich durchaus gegenseitig befruchtet und ergänzt, jedoch ist Adams Sicht der Dinge in vielerlei Hinsicht noch extremer.

„Er lauschte den Rädern, diesem reinen, vollkommen harmonischen Sirren auf dem Asphalt, das sich in ein wütendes Rumpel und Knattern verwandelte, als sie über die wellblechartigen Rippen im Weg zum Haus seiner Großmutter – zu seinem Haus – fuhren. Denn das war besser, als ihr, Sara, zuzuhören die ununterbrochen versuchte, ihn gegen die Regierung zu radikalisieren, wo er doch ohnehin tausendmal radikaler war als sie. Ihn regierte niemand. Sie waren sowieso alle Verbrecher, diese Politiker, jeder war von irgendeiner Interessengruppe gekauft, und die Bullen waren ihre Privatarmee – das wusste er längt, das brauchte sie ihm nicht zu sagen.“

Belastet wird Adams Seele und Denken durch das zerrüttete Verhältnis zu seinem Vater. Sten Stensen, ein pensionierter ehemaliger Schuldirektor, erreicht mediale Berühmtheit und Heldenstatuts, nachdem er während einer Karibik-Kreuzfahrt auf Landgang in Costa Rica, einen Überfall auf die Reisegruppe durch die Tötung eines der Angreifer beendet. Für den 70-jährigen Vietnam-Veteranen war es ein spontaner wie selbstverständlicher Eingriff in den geschichtlichen Ablauf, der in seinen Sohn eine noch größere Distanz zu ihm aufbauen lässt, ja, Adam entwickelt gar Hassgefühle auf ihn. So wandelt Adam wie ein leicht entflammbares Pulverfass der nahenden Katastrophe entgegen. Trotz der konsequenten Vorhersehbarkeit, fesselt T.C. Boyle mit Hart auf Hart von der ersten bis zur letzten Seite. Der 66-jährige, amerikanische Autor dehnt hier den Freiheitsbegriff bis aufs Äußerste und zeigt die hochkomplexe Schwierigkeit des gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer Demokratie.

Sten Stensen verkörpert den typischen, in die Jahre gekommenen US-Haudegen, der das Gesetz, wenn es sein muss, gerne in die eigene Hand nimmt und, wenn es der Sache dient, für andere Schicksal spielt. Sara Jennings spiegelt die toughe Idealistin wider, während Adam Stensen die negative Überhöhung beider Charaktere in einer Person vereint. Hart auf Hart dient als Ab- und Zerrbild des modernen Amerikas. Boyle pendelt zwischen Freiheitsauslegungen und Gewaltursprüngen und erschafft mit seinem neuen Roman ein Panoptikum us-geprägter, westlicher Gesellschaftsformen. Realität und Wahnsinn liegen hier oft sehr dicht beieinander. Ein durch und durch diskurswürdiger Roman. Mit der Veröffentlichung von Hart auf Hart (im Original The Harder They Come) ist dem Hanser Verlag ein Coup gelungen, erscheint die deutsche Übersetzung von Dirk van Gunsteren doch als Weltpremiere noch vor dem amerikanischen Original. Die Leser dürfen sich auf ein außerordentliches Lektürevergnügen freuen.

T.C. Boyle: Hart auf Hart, Hanser Literaturverlage, Hardcover, 978-3-446-24737-6, 22,90 €.

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