Marco Pleil – Portrait des Frankfurter Musikers

Nach vielen Bandjahren ist Marco Pleil nun Solo unterwegs

von Gérard Otremba

Sein neues Jahrzehnt begann in Hamburg. Am Vorabend seines 40. Geburtstages besuchte Marco Pleil im Dezember letzten Jahres das Tocotronic-Konzert im Uebel & Gefährlich. Eine wahrlich gute Idee, mit einem Auftritt der Hamburger Indie-Helden in ein neues Lebensjahr zu rutschen. Der in Offenbach geborene Musiker steht selbst schon seit über 20 Jahren auf der Bühne und stand mit seiner letzten Band Cloudberry auch kurz vor dem Durchbruch.

Die Zeit mit Cloudberry

Das Indie-Pop-Trio veröffentlichte insgesamt vier Platten, zuletzt 2011 The Closer We Get, ein Album, „in das wir viel investierten, doch am Ende blieb ein großer Frustfaktor übrig“, erinnert sich Marco Pleil an die noch nicht allzu lange vergangene Zeit. Die Jahre mit Cloudberry brachten Pleil und seine Mitmusiker immerhin ins Vorprogramm solch namhafter Acts wie den Editors, Nada Surf, Tito & Tarantula, Phillip Boa, We Are Scientists und den Breeders. „Ich habe die Hand von Kim Deal geschüttelt“, ist Marco Pleil durchaus stolz auf die Begegnung mit der ehemaligen Bassistin der Pixies, einer seiner Indie-Heroes. Und doch stand der Ertrag in keinem Verhältnis zum Aufwand. „Da sind wir Kilometer um Kilometer abgefahren und haben letztlich kein Geld gesehen“, fasst der in Obertshausen wohnende Songwriter die letzte Cloudberry-Tour zusammen. „Danach habe ich gefühlt, dass es anders werden muss“, rekapituliert Pleil den Start in die Solokarriere.

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Foto: Marco Pleil

Die erste Band von Marco Pleil namens Strange

Auf die Idee, ein Instrument zu spielen brachte ihn in den Jugendjahren die „Top-20-Singles“-Sendung des Hessischen Rundfunks. Als „Kinder der 80er Jahre“, wie sich Pleil selbst bezeichnet, lag das Keyboard als erstes Instrument sehr nahe. „Crockett‘s Theme“ aus der Krimiserie „Miami Vice“ und „Suburbia“ von den Pet Shop Boys hatte er alsbald drauf, bevor er auf die Musik von New Order stieß und dem Groove des Bassisten Peter Hook verfiel. Danach war klar, ein Bass muss es sein. „Ohne was spielen zu können“, erinnert sich Pleil, landete er schnell in der Schulband, doch zwei Jahre Bass-Unterricht und private Treffen mit Schulbandkollegen führten zur ersten ernsthaften Gruppengründung namens Strange. Infiziert von Bands wie The Cure, New Order, New Model Army oder Sisters Of Mercy, benannt nach dem Cure-Song „A Strange Day“, spielte die Band zunächst viele Coverversionen, bevor sich nach und nach immer mehr Eigenkompositionen in ihr Repertoire mischten. Mit einer selbstaufgenommenen 5-Track-EP machten sich die Bandmitglieder rotzfrech auf den Weg zur Frankfurter Villa des Konzertpromoters Marek Lieberberg. Den Maestro persönlich trafen sie zwar nicht an, jedoch seinen damaligen Mitarbeiter Ossy Hoppe. Ihr Chuzpe wurde belohnt, das auf der EP enthaltene Cover von „I Don’t Like Mondays“ der Boomtown Rats überzeugte Hoppe, der ihnen einen Auftritt beim Rock am Ring-Festival 1996 ermöglichte. Doch neben eines Albums, das sogar in den USA veröffentlicht wurde, sollte dies auch das Karrierehighlight von Strange bleiben. Sie waren Anfang 20, verdingten sich in ersten Jobs, Marco Pleil machte eine Ausbildung zum Bürokaufmann, und „alles verlief sich“.

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Strange 1996 / Foto: Marco Pleil

Der Weg von Cloudberry zur ersten Solo-EP

Nach einem Jahr schöpferischer Pause „wollte ich allein Songs schreiben“, erinnert sich Pleil, und mit einem PC mit Aufnahmesoftware ausgestattet, begann das neue Kapitel seiner musikalischen Laufbahn, das er Cloudberry taufte. Mit einem Song seiner ersten Demo-EP bekam er sogar Airplay bei HR3, wurde von der EMI in Köln gehört, kurzfristig auch unter Vertrag genommen, eine fertige Single dann aber doch nicht veröffentlicht, spielte anschließend mit Studiomusikern zusammen, bevor sich das Projekt Cloudberry sukzessive in eine Band verwandelte, mit wechselnden Mitgliedern, zuletzt mit Thomas Wolf und Sebastian Lübeck als festes Line-Up. Nachdem er eine Bandpause für nötig erhielt, war es für Marco Pleil Zeit für einen Neuanfang. „Nach dem Cut wollte ich autark sein“, verdeutlicht Pleil seinen neuen Ansatz. Eine unveröffentlichte EP von Cloudberry, auf der bereits ein Song mit deutschem Text enthalten war, brachte die Initialzündung. Das ganze Jahr 2013 verbrachte er mit Songschreiben, komponierte dabei gut 20 Lieder, die die beiden Jahre nach Cloudberry Revue passieren lassen, bis ihm klar wurde: „Ich muss was damit machen.“ Es entstand die Idee, drei Songs aufzunehmen, die auf Punkt. Statt, Komma nachzuhören sind. „Ich wollte auf keinen Fall in die Singer-Songwriter-Kiste geraten und Lagerfeuerromantik verbreiten“, erzählt Pleil, „sondern eher wie Billy Bragg klingen, ohne meine Indie-Punk-Britpop-Wurzeln zu vernachlässigen“, was ihm auch vortrefflich gelungen ist. Marco Pleil, der sich in seiner Freizeit zum Filmnerd entwickelt hat und das Genre Science-Fiction sowie die Filme von David Cronenberg und David Lynch, also Movies, die „die dunkle Seite der Psyche zeigen“, bevorzugt, betrachtet die Gitarre als sein „Werkzeug“ und wenn der Sound „mal scheppert, dann scheppert er eben“, beschreibt er seine musikalische Experimentierlaune.

Von Einflüssen und Menschen mit dem „Arsch in der Hose“

Obwohl „New Order immer meine Lieblingsband bleiben wird“, betont Pleil, beeinflusste ihn in den letzten Jahren auch der Musiker Scott Walker und dessen Album Bish Bosh. „Es hat gar nicht viel mit meiner Musik zu tun, aber es hat mein Verständnis von Musik umgeworfen. Ich habe mich beim Hören immer gefragt: ‚Was macht er denn da?‘“, fasst er seine Faszination für den ungewöhnlichen Songwriter zusammen. Solche Personen im Musikbusiness, die noch den „Arsch in der Hose“ haben, beeindrucken Marco Pleil, aus dessen Namen auf Ankündigungsplakaten unglücklicherweise auch schon mal der „Pfeil“ wird. Menschen wie Tony Wilson, der Gründer der Factory Records, der Joy Division und später New Order, James und die Happy Mondays unter Vertrag nahm. „Das war noch ‚Indie‘ in Reinform, da zählte nur die Musik, egal von wem sie gemacht wurde. Auf den Plattencovern sah man damals selten die Bandmitglieder. New Order haben immer so ein Geheimnis um sich gemacht und lösten einen Jagdtrieb in mir aus, denn ich habe mir alle Zeitschriften gekauft, auf denen New Order draufstand“, berichtet Pleil aus seiner Jugendzeit. Einen Jagdtrieb, den er in der heutigen Social-Media-Zeit, wo einem alles auf dem Präsentierteller serviert wird, vermisst. Und das hat dann auch nichts mit einer „Früher war alles besser“-Mentalität zu tun, sondern vielmehr damit, noch „den Hunger zu haben, etwas reißen zu wollen, ob erfolgreich oder nicht.“ Natürlich ist Marco Pleil bewusst, dass sich Hunger und Erfolg irgendwann in einer Balance befinden sollten, schließlich „nimmt finanzielle Unabhängigkeit den Druck vom kreativen Prozess.“

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Das anstehende Album und das Feuer in ihm

Doch bevor sich der finanzielle Erfolg, der es ihm ermöglicht, „weiter mein Ding zu machen, Platten aufzunehmen, auf Tour zu gehen, raus in die Welt und meine Songs so vielen Menschen wie möglich nahe zu bringen“, einstellt und das dazugehörige Album in naher Zukunft aufgenommen ist, heißt es Produzenten anzuschreiben, eine Person zu finden, die die Booking-Arbeit übernimmt, weiterhin Songs schreiben und „spielen, spielen, spielen“. In Frankfurt stand er im Frühjahr als Support von Bernd Begemann auf der Bühne, in Hamburg trat er im August vor gut 500 Besuchern bei den Knust Acoustics auf. Bei seinen Konzerten klingt Marco Pleil bewusst anders als auf seiner EP, sieht sich in einer „experimentellen Phase, hin zu einem raueren, verzerrten Sound“ mit seiner Telecaster. Und obwohl er vor Auftritten „überaus nervös“ sei, gewinnt er diesem Zustand etwas Positives ab, denn „so merke ich, dass noch Feuer in mir brennt“. Ein Feuer, das hoffentlich noch lange in Marco Pleil lodern wird.

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