Marion Brasch: Wunderlich fährt nach Norden

Herr Wunderlich sucht das Glück

von Gérard Otremba

Dass Marion Brasch eine filigrane, pointierte und unterhaltsame Autorin ist, hat sie mit ihrem Debütroman Ab jetzt ist Ruhe hinlänglich bewiesen. Der 2011 erschienene „Roman meiner fabelhaften Familie“, wie es im Untertitel heißt, besitzt Witz, Ironie, Charme und zeichnet das Leben der Familie Braasch in der DDR in einem berührenden poetischen Realismus. Die 1961 in Berlin geborene Schriftstellerin bewahrt sich für den Nachfolger Wunderlich fährt nach Norden diese spritzige Leichtigkeit des Erzählens ihres Erstlingswerkes und kombiniert sie mit magischen Momenten. Zu Beginn der Geschichte war Wunderlich „der unglücklichste Mensch, den er kannte“, am Ende „der verwirrteste Mensch, den er kannte“.

Und das nicht grundlos. Seine große Liebe Marie verlässt Wunderlich, der zwar einen Vornamen hat, von allen jedoch nur als „Wunderlich“ angesprochen wird, eine Welt bricht für den sensiblen, klugen Zeichenlehrer zusammen, er suhlt sich im Selbstmitleid und wird von einer SMS einer unbekannten Person, fortan Anonym genannt, aus der Larmoyanz gerissen, die Wunderlich nach einem SMS-Schlagabtausch eine Luftveränderung empfiehlt. Tatsächlich entscheidet sich Wunderlich für eine Zugreise in den Norden, begleitet von den Kurznachrichten Anonyms, einer allmächtigen Person, die alles über Wunderlich und die diesem auf seiner Reise begegnenden Menschen zu wissen scheint. In den acht Tagen, die Wunderlichs Fahrt gen Norden dauert, erlebt er wundersame, skurrile und für seine körperliche Gesundheit nachträgliche Abenteuer. Nachdem Wunderlich von einer „sadistischen“ Fahrkartenschaffnerin auf seinen abgelaufenen Ausweis hingewiesen und zum Verlassen des Zuges aufgefordert wird, lernt er am nächsten, völlig heruntergekommenen und eigentlich stillgelegten Bahnhof den abgehalfterten Finke kennen, der Wunderlich auf sein „Schloss“ mitnimmt, einer, adäquat dem Bahnhof, verfallenen ehemaligen Gastwirtschaft.

Während Finke bald darauf wieder verschwindet, taucht die junge Toni auf, die einen Wohnwagen ihr Eigen nennt, ein dunkles Geheimnis mit sich trägt und Wunderlich in die heilenden Kräfte des „Blauharz“ einweiht. Und immer wieder taucht der von Wunderlich als „Lennon Felljacke“ getaufte Herr auf, ob in der Kneipe vom „schönen Ringo“, oder auf dem Rad, und exklusiv für Wunderlich sichtbar. Manche Passagen von Wunderlich fährt nach Norden sind so wundervoll surreal, traum- und märchenhaft, es ist, als ob Herr Rossi, der noch immer sein Glück sucht, sich in Kafkas Schloss verirrte. Manch andere Romanstellen wiederum sind voller berührender Anmut, dass man den Wunderlich so schnell nicht vergessen wird. Marion Brasch hat kein Buch über die Findung des Lebenssinns geschrieben, aber über die kleinen Wunder des Lebens, die sich einem auch in einer Sinnkrise offenbaren. Wunderlich fährt nach Norden ist ein bemerkenswert leiser, graziler, betörender und liebenswerter Roman.

Marion Brasch: „Wunderlich fährt nach Norden“, S. Fischer Verlag, Hardcover, 978-3-10-001368-2, 19,99 €.

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