Fußball-WM 2014 in Brasilien

Ein Vorrunden-Fazit und Achtelfinale-Ausblick

von Gérard Otremba

Tore sind bekanntlich das Salz in der Suppe eines jeden Fußballspiels. Allen Unkenrufen der erschwerten klimatischen Bedingungen zum Trotz fielen in der Vorrunde der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien insgesamt 136 Treffer, so viele wie seit der WM 1970 in Mexiko nicht mehr. Macht einen ansehnlichen Schnitt von 2,83 pro Spiel. Die allseits prognostizierten Befürchtungen von tempoarmen Spielen bewahrheiteten sich dankenswerterweise überwiegend nicht, die Torgaranten Neymar, Messi, Müller, Robben & Co ballerten den gegnerischen Torhütern munter die Bälle um die Ohren.

Das Ende des spanischen Tiki-Taka-Stils

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Das Ausscheiden des Titelverteidigers und amtierenden Europameisters Spanien gehört zweifellos zu den größten Überraschungen des Turniers. Die saturierten Iberer sind bei der 1:5-Klatsche gegen die Niederlande phasenweise vorgeführt worden, nicht mal im Ansatz war der in den letzten Jahren so dominante, wie langweilige, weil zu selten zielorientierte Tiki-Taka-Stil zu beobachten. Mit einem gefühlten Ballbesitz von 80 % pro Begegnung hätten die Spanier bereits bei der WM 2010 in Südafrika größeres Kapital schlagen müssen, als die vier minimalistischen 1:0-Siege ab dem Achtelfinale. Mit diesem durchaus bekannten Ergebnis schlich sich die deutsche Nationalmannschaft 2002 ebenfalls bis ins Finale, ließ dabei jedoch im Gegensatz zu den Spaniern die jeweiligen Gegner auch brav mitspielen und viele Chance kreieren, die Torhüter Oliver Kahn alle entschärfte. Der objektive Unterhaltungswert dieser Partien war ungleich höher als das ermüdende Ballbesitz-Kurzpassspiel der Spanier. Nach zwei EM- und einem WM-Titel war es an der Zeit, die Vormachtstellung der Elf von Trainer Vicente del Bosque ein Ende zu setzen. Leidenschaftlich kämpfende und klug operierende Chilenen machten den Deckel zu, noch nie war ein Titelverteidiger bei einer Fußball-Weltmeisterschaft so schnell ausgeschieden.

England am Boden der Tatsachen

Dass in der sogenannten „Todesgruppe“ D ausgerechnet England und Italien nach der Vorrunde die Koffer packen mussten, überrascht nur auf den ersten Blick. Wieso England überhaupt zu den „großen“ Fußballnationen gezählt wird, bleibt ein Rätsel. Bis auf den einzigen, durch das berühmte „Wembley-Tor“, ein Nicht-Tor mithin, ermöglichten WM-Titel von 1966 und einem Vordringen ins Halbfinale 1990, waren Fußball-Weltmeisterschaften spätestens im Viertelfinale für die Engländer immer beendet, sofern sie überhaupt an dem Event teilnahmen. Es muss an der kolonialen Großmannssucht oder einer falschen englischen Selbsteinschätzung liegen. Der englische Fußball ist genauso schlecht, wie ihn die Nationalmannschaft in den drei Vorrundenspielen präsentierte. Die Clubs der Premier-League sind längst zum Hobby, und somit Spielball, von Milliardären geworden, die sich für unmoralische Unsummen Legionärstruppen zusammenkaufen. Diese Fehlentwicklung darf Englands Nationalmannschaft nun ausbaden.

Italien langweilt und fliegt nach Hause

Italien wiederum ist endlich mal für ein einfallsloses Gekicke bestraft worden. Reichten 1982 noch drei kümmerliche Unentschieden, um die Vorrunde zu überstehen und anschließend doch noch Weltmeister zu werden, und 2006 ein Faller von Fabio Grosso und der anschließende, unberechtigte Elfmeter in der fünften Minute der Nachspielzeit im Achtelfinale gegen Underdog Australien, um das Turnier siegreich zu beenden (von der Provokation des Marco Materazzi gegen Zinedine Zidane im Endspiel ganz zu schweigen), so war in Brasilien das italienische Pulver nach dem 2:1-Auftakt gegen England bereits verschossen. Der krasse Außenseiter Costa Rica bezwang den harmlosen vierfachen Weltmeister völlig verdient mit 1:0 und schwang sich zum Favoritenschreck empor. Das abschließende Match gegen Uruguay lief zwar unglücklich für Italien (und natürlich hätte der hirnkranke Luis Suarez nach der Beissattacke gegen Giorgio Chiellini vom Platz gestellt werden müssen), verhehlt die stupide Art des italienischen Fußballspiels jedoch nicht. Ein völlig verdientes Aus in der Vorrunde, zum zweiten Mal in Folge.

Deutschland souverän wie immer

Deutschlands Fußball-Nationalmannschaft qualifizierte sich letztendlich wie immer souverän für die nächste Runde. Dem furiosen 4:0 im Gruppeneröffnungsspiel gegen mal wieder enttäuschende Portugiesen folgte ein munteres 2:2-Untentschieden gegen Ghana, sowie ein problemloser 1:0-Erfolg gegen die ebenfalls für das Achtelfinale qualifizierten US-Boys von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Die Systemumstellung vom bisher praktizierten 4-2-3-1 zum nunmehr favorisierten 4-3-3 mit Kapitän Philipp Lahm auf der Sechser-Position und ein Abwehrriegel mit vier gelernten Innenverteidigern sorgte dabei für mehr Diskussionsstoff als die gegnerischen Mannschaften. Im Achtelfinale am Montag gegen Algerien ist das Team von Joachim Löw haushoher Favorit. Das dachten alle Deutschland-Fans 1982 vor der damaligen Auftaktpartie gegen die Nordafrikaner auch, nach der 1:2-Schlappe von Gijon ist da noch eine WM-Rechnung offen. Alles andere als das Erreichen des Viertelfinales für die DFB-Equipe wäre eine Sensation.

Die Favoriten Brasilien und Argentinien

Für das Gastland Brasilien stellt sich die nächste Runde auf dem Papier weitaus schwieriger dar. Der fünffache Champion um den bislang absolut überzeugenden Superstar Neymar hat es wie von vielen erwartet mit „Geheimfavorit“ Chile zu tun. Eine Leistungssteigerung des gesamten Teams, das nur im Spiel gegen Mexiko an seiner Chancenverwertung sowie Schlussmann Ochoa scheiterte, wird nötig sein, um die robust und taktisch clever auftretenden Chilenen zu schlagen. Südamerikanachbar Argentinien tat in der Vorrunde nicht mehr als nötig und verließ sich ganz auf die individuelle Stärke von Lionel Messi, der mit vier Toren das Weiterkommen des Weltmeisters von 1978 und 1986 fast im Alleingang ermöglichte. Wehe, der Schweiz gelingt es, Argentiniens Spielmacher und Torjäger ins Abseits zu stellen, dann können sich die Gauchos einen weiteren blutleeren Auftritt wie gegen den Iran, als sie am Rande einer Niederlage standen, nicht leisten.

Begeisternde Spiele von Frankreich und Holland

Sehr erfreulich das bisherige spielerische Niveau der Franzosen. In einer vermeintlich „einfachen“ Gruppe entledigte sich die „Equipe Tricolore“ seiner Hausaufgaben auch ohne Franck Ribery gar volltrefflich und putzte unter u.a. die an diesem Tag völlig desolaten Schweizer gleich mit 5:2 vom Platz. Das machte Spaß auf mehr, lässt aber ähnlich wie bei den unerwartet stark beginnenden Holländern befürchten, dass der offensive Spaßfußball in der nun beginnenden K.O.-Runde auf der Strecke bleibt und ausscheidet. Die Partien gegen Nigeria, respektive Mexiko werden es zeigen. Ein frühes Aus wünscht man auch den ohne ihren verletzten Stürmerstar Falcao so überzeugenden Kolumbianern nicht. Schöner Fußball darf gerne mal belohnt werden, doch mit Uruguay, ohne den völlig zu Recht von der FIFA gesperrten Wiederholungstäter Luis Suarez, wartet ein anderes Kaliber als in der Vorrunde mit der Elfenbeinküste, Japan und Griechenland.

Schlechten Fußball gab es auch

Ein schlechter Witz, dass aus eben jener Gruppe C sowie aus Gruppe H ebenfalls zwei Mannschaften weiterkommen mussten. Quälte sich schon Belgien mit drei mühsamen Siegen als Gruppenerster ins Achtelfinale, sind die gebotenen Leistungen der Japaner, Südkoreaner, Russen und auch Griechenlands als unterirdisch zu bezeichnen. Ansatzweise im entscheidenden Match gegen die Ivorer war von den Griechen wenigstens eine Halbzeit lang so etwas wie ein Fußballspiel erkennbar, die Auftritte gegen Kolumbien und Japan waren gar grausig. Der offensichtlichen Überlegenheit Costa Ricas Spielkultur wünscht der objektive Fußballbetrachter das Weiterkommen, die Hellenen bekommen noch eine Chance zur Wiedergutmachung. Alle Meriten der Vorrunde zählen jedoch nicht mehr, bekanntlich geht die Fußball-Weltmeisterschaft mit dem Achtelfinale erst richtig los, wer verliert, fliegt raus. Mögen die Besseren Fußballteams gewinnen.

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