Greil Marcus über Bob Dylan – Schriften 1968-2010

Wissenswertes über Bob Dylan und die traditionelle amerikanische Folkmusik

von Gérard Otremba

Der 1945 geborene Journalist Greil Marcus begann zu einer Zeit über Bob Dylan zu schreiben, als dieser sich nach einem Motorradunfall aus der Öffentlichkeit zurückzog, mit dem kryptisch-biblischen Album John Wesley Harding reüssierte und sich mit The Band in ein pinkes Haus in Woodstock verschanzte, um die 1975 veröffentlichten Basement Tapes aufzunehmen. Für Greil Marcus, der u.a. über Dylans Song „Like A Rolling Stone“ ein eigenes Buch veröffentlichte, ein gefundenes Fressen, denn alleiniger Musikjournalismus ist seine Sache nicht. Wer in diesem über 600 Seiten-Buch eine Abfolge von Album-Kritiken und Konzertberichten erwartet, wird überrascht sein. Vielmehr untersucht der in Berkeley, Kalifornien lebende Marcus den Einfluss und etwaige Wechselwirkung der Musik auf die amerikanische Geschichte. Insofern nimmt es nicht Wunder, dass Dylans Kooperation mit The Band ein zentrales Thema in Marcus‘ Schriften über Bob Dylan einnimmt, schließlich begaben sich Dylan und The Band, die als The Hawks Dylans triumphale 1965-66er Tour als Begleitband hautnah miterlebten, während der Basement Tapes-Sessions auf die Spurensuche der amerikanischen Folk-Tradition. Schnell befinden wir uns in Greil Marcus‘ Aufzeichnungen im Jahre 1974, als The Band Bob Dylan bei dessen Comeback-Tournee erneut zur Seite standen. Auf dem dazu erschienenem Doppel-Album Bevor The Flood ist The Band mit eigenen Kompositionen wie „Up On Cripple Creek“ und „The Night They Drove Old Dixie Down“ vertreten, denn die Zusammenarbeit mit Dylan inspirierte The Band, von den Mitgliedern leben leider nur noch Robbie Robertson und Garth Hudson, zu den famosen Platten Music From Big Pink und The Band. Das Schicksal von The Band wird von Marcus nicht ganz zu Unrecht genauer unter die Lupe genommen.

Bob Dylan und die Anthology Of American Folk Music

Darüber hinaus bekommt der Leser einen sehr guten und ausführlichen Einblick in die Anthology Of American Folk Music, auf deren Kenntnisse Dylans Folk-Ruhm basiert. Über dessen Karriere erfährt der Fan natürlich genug. Die Album-Kritik zu Blood On The Tracks ist fabelhaft und fast schon zu kurz geraten, die Analyse „Wo liegt die Desolation Row?“ aus dem Jahre 2000, mit der Verknüpfung der Musik zu Bildenden Kunst, phänomenal. Man muss sich auf die Abhandlungen von Greil Marcus einlassen können, dann entwickelt sich die Lektüre zu einem genüsslich-intellektuellen Panoptikum amerikanischen Zeitgeistes. Kein Wunder, dass die Schriften mit Marcus‘ Gedanken zu der Wahl von Barack Obama zum amerikanischen Präsidenten enden. Über seine Einlassungen zu Dylan-Songs muss man nicht immer geteilter Meinung sein. Seine ablehnende Haltung gegenüber „Masters Of War“, das vor einigen Jahren vom Mojo-Magazin zum Besten der „100 größten Protestsongs“ gekürt wurde, ein Sog, den Greil Marcus als „zu aufgeblasen, zu selbstgerecht, zu sehr von sich eingenommen, zu gestelzt“ brandmarkt, stößt bei mir auf Unverständnis. Manchmal ist die Welt schwarz-weiß, zumal für einen 22-jährigen Liedermacher, der Dylan bei der Entstehung des Songs war, mit der Kuba-Krise als geschichtlichen Faktor im Nacken, verwundert es nicht, dass Dylan den Kriegstreibern in diesem Song den Tod wünscht. Das ist verständlich, legitim und nachvollziehbar, nicht selbstgerecht. So kann man sich als Leser trefflich mit den Ausführungen von Greil Marcus auseinandersetzen. Für selbsternannte Dylanologen ist das Buch „Greil Marcus über Bob Dylan –  Schriften 1968-2010“ ein absolutes Muss, für alle anderen ein lesenswerter Überblick auf die traditionelle amerikanische Musik und Kultur, mit Bob Dylan im Mittelpunkt.

Greil Marcus über Bob Dylan – Schriften 1968-2010, Hardcover, Verlag Edel Books, 978-3-841-0137-8, 29,95 €. 

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