Marcal Aquino: Flieh. Und nimm die Dame mit.

Brasilianische Dichtung zwischen Liebe, Obsession und Wahn

von Gérard Otremba

Ein unbestreitbar positiver Aspekt der Frankfurter Buchmesse ist die Präsentation eines Gastlandes, wie es in diesem Jahr Brasilien war. So richtet sich der Fokus in Frankfurt immer wieder auf Länder, deren Autoren im internationalen Literaturbetrieb häufig noch eine untergeordnete Rolle spielen. Bestes Beispiel Brasilen. Deren fußballkickende Nationalmannschaft mit ihren jeweiligen Protagonisten gebührt nicht ganz zu Unrecht Weltruhm, die Schriftsteller des mit Abstand flächengrößten Landes Südamerikas kennt mit Ausnahme von Paolo Coelho hingegen jenseits des Amazonas kaum jemand. In Deutschland hat sich einzig noch Joao Ubaldo Ribeiro mit seinem Roman Brasilien, Brasilien einen Namen gemacht, danach benötigt man schon einen auf südamerikanische Literatur spezialisierten Buchhändler, um auf brasilianische Dichter zu stoßen. Büchertische- und Schaufenster zur Buchmessenzeit machen es zwar dem Leser etwas einfacher, bekannt sind die Autoren dadurch aber erst mal nicht. Im Unionsverlag ist nun der 2009 in deutscher Erstausgabe in der Reihe Weltlese, herausgegeben von Ilija Trojanow, bei der Edition Büchergilde, veröffentlichte Roman Flieh. Und nimm die Dame mit. von Marcal Aquino als Taschenbuch erschienen. Vielleicht sollten die Brasilianer öfter mal ein Buch ihrer Landsleute lesen und nicht so viel Fernsehen schauen, denn wie aus Aquinos Roman hervorgeht, scheint das brasilianische Volk ganz verrückt nach Telenovelas zu sein.

Einer der vielen Randaspekte des Romans Flieh. Und nimm die Dame mit., in dem uns der 55-jährige Aquino in eine nordbrasilianische Goldgräberstadt schickt, wo der Fotojournalist und Ich-Erzähler Cauby für eine Story im Prostituiertenmilieu recherchiert. Er verliebt sich in die mit dem Dorfpastor verheiratete Lavinia und beginnt eine obsessive Affäre mit ihr. Ähnlich wie bei Gabriel García Márquez‘ fabelhaften Roman Die Chronik eines angekündigten Todes, schwebt von Beginn an die unheilvolle Drohung eines bösen Endes oder zumindest einer dramatischen Wendung für die Protagonisten. Ist bei Márquez der Titel Programm, so handelt es sich beim Aquinos-Titel um eine an Cauby gerichtete Warnung, die dieser in seinem verblendeten Liebeswahn ignoriert. Nach dem Pastor-Mord und dem Verschwinden Lavinias wird es für Cauby gefährlich. In einer weiteren Parallele zum Márquez-Roman Chronik eines angekündigten Todes setzen sich in Aquinos großartiger Lektüre  Flieh. Und nimm die Dame mit., Menschen über das Gesetz, meistens keine so gute Idee. Marcal Aquino lotet sowohl einfühlsam, als auch drastisch die Grenzen zwischen Liebe, Hingabe und Wahn aus. Darüber hinaus eröffnet er dem Leser Einblicke hinter die Copacabana-Fassade Brasiliens. So eindrucksvoll kann brasilianische Literatur sein.

Marcal Aquino: „Flieh. Und nimm die Dame mit.“ Unionsverlag, Taschenbuch, 12,95 €, 978-3.293-20632-8.    

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