Nick Cave live in Hamburg

Das musikalische Inferno nach Nick Cave

von Gérard Otremba

Ausgedehnte Tourneen zusammen mit seiner Stammband Bad Seeds hat Nick Cave in den letzten Jahren schwer reduziert. Wenn er überhaupt in Deutschland auftrat, dann gab er vereinzelte Konzerte, meist in Berlin. Höchst bedauernswert, denn die Songs seiner großartigen Alben Nocturama, Abattoir Blues / The Lyre Of Orpheus und Dig, Lazarus, Dig!!! hätten es verdient, in vielen deutschen Städten gespielt zu werden. Sein Sidekick Grinderman ist noch mal eine andere Baustelle. So verging eine verdammt lange Durststrecke von über zehn Jahren ohne ein Nick Cave-Konzert, die am 10.11.2013 in der Hamburger Sporthalle endlich ein Ende fand. Mit Blixa Bargeld und Mick Harvey verließen in der Zwischenzeit zwei Gründungmitglieder der Bad Seeds Caves Begleitband, doch an diesem Abend in Hamburg spielt das keine Rolle. Wer sich nach der im Februar erschienenen, neuen Platte Push The Sky Away auf einen ruhigen Abend eingestellt hatte, wird sich in der fast ausverkauften Alsterdorfer Sporthalle gewundert haben. Nick Caves 15. Studioalbum hört sich mit seiner reduzierten Bandbegleitung wie ein verspäteter Trilogieabschluss für The Boatman’s Call und No More Shall We Part an. Natürlich gibt es die erlesenen, poetisch sanften Momente beim Konzert in Hamburg. Gleich zu Beginn bei „We No Who U R“, wenn der ansonsten als Violinen-Derwisch auf sich aufmerksam machende Warren Ellis die Querflöte bedient. Im Mittelteil spielt Nick Cave, sich selbst am Piano begleitend, die Band minimalistisch im Hintergrund bleibend, „West Country Girl“, „God Is In The House“, „Watching Alice“ und „Into My Arms“ hintereinander weg und der letzte Song vor den Zugaben, das elegisch-fragile „Push The Sky Away“, wird in schönstem blauen Licht eingetaucht. Hier zeigt sich Nick Cave als der große Romantiker, nur wie eng Romantik, Liebe und Wahn beieinander liegen, weiß keiner besser als er.

Die entfesselten Nick Cave and The Bad Seeds sind dem Wahnsinn nahe

Schon beim zweiten Stück „Jubilee Street“, dessen Ende im ersten Sturm des Abends untergeht, steht die Halle Kopf. Nicht minder euphorisch die aufgekratzte Version von „Do You Love Me?“, bevor der Wahnsinn mit dem entfesselten „Tupelo“ seinen ersten Höhepunkt erlebt. Das bedrohliche, zwischen  flirrender Nervosität und atemberaubenden Ausbrüchen changierende „Red Right Hand“ sowie die Edelballade „Mermaids“, live als opulente Hymne dargereicht, bereiten das Publikum auf das infernalische „From Her To Eternity“ vor. Als ob Nick Cave in einen Jungbrunnen gefallen wäre, tigert er in gebückter Haltung auf der Bühne, zetert und schreit er den Text ins Mikro, eine wahrlich wahnsinnig geniale Live-Fassung seines Uralt-Klassikers. Wer den einmal in dieser Form erlebt hat, muss keine Angst vor der Hölle haben. Nach dem edlen Mittelteil nimmt das Konzert mit dem „Higgs Boson Blues“ wieder Fahrt auf, um bei „Mercy Seat“ den nächsten Inferno-Ausbruch zu erleben, bevor der Wahnsinn mit „Stagger Lee“ nicht mehr zu toppen ist, ein Song, in den Nick Cave seinen ganzen Zorn legt. Den Auftritt muss man während der ersten Zugabe „We Real Cool“ verdauen, denn dann hauen uns Nick Cave und seine sechsmannstarken Bad Seeds mit „Papa Won’t Leave You, Henry“ den nächsten, völlig ausgelassenen und durchgeknallten Klassiker um die Ohren, ein wahrer Schmaus. Das spektakuläre „Jack The Ripper“ bietet uns der auch schon 56-jährige Australier als großes Weltuntergangsszenario dar, man staunt schon nicht schlecht, ob der krawalligen Wucht und Kraft. Und weil das alles so viel Spaß bereitet, entschließt sich Nick Cave kurzfristig noch mit „Deanna“ den nächsten Klassiker ins Programm aufzunehmen. Nach so viel lauter Reizüberflutung, ist der bereits vor „Deanna“ angekündigte, neue, bisher unveröffentlichte, pianodominierte Konzertabschlusssong „Give Us A Kiss“ ein gerne empfangenes Bonmot. Für diesen Auftritt geben wir Nick Cave nicht nur einen, sondern tausend Küsse. Ein irres Konzert.

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