Folk-Pop und Andacht im Uebel & Gefährlich
von Gérard Otremba
Die Vorgruppe The Head And The Heart spielt unbekümmerten Folk-Pop
Die Band The Head And The Heart setzt sich aus fünf Herren und einer Dame zusammen, die mit Schlagzeug, Bass, akustischen Gitarren, Keyboard, Geige, Tambourine und diversen Rasseln ausgestattet ein launiges Folk-Pop-Konzert spielen. Die Herren tragen Bärte und Holzfällerhemden oder ausgewaschene T-Shirts, zwei von ihnen wechseln sich bei den Leadvocals ab, lassen auch mal ihre Geigerin den Hauptpart beim Gesang übernehmen, oder singen zu dritt die Harmonien. Sie hüpfen, springen und tanzen und stecken das Publikum mit dieser ausgelassenen Freude sofort an. Es gibt jede Menge „lalalas“ und „uhuhuhuhs“ und „ahahahahs“ zu hören, diverse Rhythmuswechsel innerhalb der einzelnen Songs inklusive. Wunderbarer Folk-Pop, irgendwo zwischen den Fleet Foxes und Midlake anzusiedeln. Das Hamburger Publikum zeigt sich begeistert und klatscht noch lange, während die Band ihre Instrumente schon längst zusammenpackt. The Head And The Heart, deren CD demnächst über Cooperative Music erhältlich sein wird, sollte man sich merken.
The Low Anthem eröffnen das Konzert mit dem intimen „Ghost Woman Blues“
Zu Beginn ihres Konzertes versammeln sich Ben Knox Miller, Jeff Prystowsky, Jocie Adams und Mat Davidson, alias The Low Anthem, an einem altertümlich anmutenden Mikrophon in der Mitte der Bühne und kammermusikähnlich eröffnen sie den Auftritt mit einer geradezu zarten Version des sowieso schon ruhigen Stückes „Ghost Woman Blues“. Eine kleine Hausmusik mit leisen Harmoniegesängen, von Millers Akustikgitarre und Adams’ Klarinette begleitet. Eine andächtige und intime Eröffnung, die die Richtung des Konzertes vorgibt, denn wesentlich lauter wird es in den kommenden 80 Minuten nicht. Die Songs ihres neuen Albums „Smart Flesh“ stehen selbstverständlich im Mittelpunkt ihres Sets. Das an Leonard Cohen erinnernde „Burn“ zum Beispiel, bei dem Ben Knox Miller das Banjo spielt und Jocie Adams das Xylophon bedient. Überhaupt herrscht ein reges Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel auf der Bühne, die Instrumente werden munter getauscht, denn wer wie Jeff Prystowsky den Kontrabass zupft, der kann auch Schlagzeug spielen. Und wenn Jocie Adams Klarinette spielt, dann ist die Trompete nicht weit entfernt. Mat Davidson changiert zwischen Harmonium, E-Bass, Klarinette und gestrichener Säge.
Rockige Songs bleiben die Ausnahme, andächtige Songs überwiegen
Richtig, die Laute einer gestrichenen Säge schwingen durch den Raum, während Ben Knox Miller am Harmonium sitzend „Matter Of Time“ vorträgt. Jeff Prystowsky streicht seinen Kontrabass, Jocie Adams schlägt wieder das Xylophon an, es entstehen Klangspektren, die auf einem Pop-Konzert selten zu hören sind. Ähnlich beeindruckend arrangiert sind Songs wie „Ticket Taker“, „To The Ghosts Who Write History Books“ und This God Damn House“, wo es neben zwei Klarinetten noch Millers Einsatz am Horn zu bestaunen gibt. Und bis auf wenige Ausnahmen hält das Hamburger Publikum geradezu den Atem an, verhält sich jedenfalls vorbildlich still und hört zu. Verhältnismäßig laut, tatsächlich werden nun auch E-Gitarre- und Bass benutzt, wird es bei „Hey, All You Hippies“ und „Boing 737“. Letzteres zwar nicht so bombastisch wie die Studioaufnahme auf „Smart Flesh“, aber das Stakkato-Schlagzeug von Jeff Prystowsky, der treibende Bass Davidsons und der Trompeteneinsatz von Jocie Adams lassen die Wucht dieses Songs deutlich erkennen.
The Low Anthem spielen Songs voller fragiler Schönheit
Aber es sind die wenigen ausgelassen Momente in einem ansonsten von fragiler Schönheit und Behutsamkeit dominierten Konzertes, wie die Songs „Love And Alter“ und das abschließende „Charlie Darwin“ beweisen. Bei der Zugabe „Smart Flesh“, mit Klarinetten- und Trompetenbegleitung, bleibt die Zeit für die Dauer des Songs einfach stehen und für „To Ohio“ treffen sich die vier Bandmitglieder wieder zusammen vor dem Mikro und beenden das Konzert auf gebührend intime Weise. Glücklich ist, wer The Low Anthem an diesem Abend live erlebt hat.