Andreas Stichmann: Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk – Roman

 

Einer flog über den Sonnenhof

David van Geelen will die Welt verändern. Als Konzernerbe eines von seinem Bruder Sebastian geleiteten Unternehmens aufs interne Abstellgleis geschoben, verlässt der 40-jährige sein bisheriges Leben und spielt die moderne Robin Hood-Variante durch. Er nistet sich im Sonnenhof ein, einer dahinsiechenden Sozial-Kommune in Hamburg-Osdorf, abseits zwischen Feldern und Fabrikhallen gelegen. Durch sein spendables und enthusiastisches Auftreten scharrt er als Sydney Seapunk die wenigen verblieben, zwischen schrulliger Demenz und sympathischer Einfalt lebenden Sonnenhof-Bewohner als Gefolgsleute um sich.

Denn van Geelen, alias Sydney Seapunk, will Zeichen setzen, seine eigene Entführung vortäuschen, bei seinem Bruder vier Millionen Euro Lösegeld einfordern, wovon die eine Hälfte für den Sonnenhof und die andere für Hilfsorganisationen gedacht ist, und anschließend medienwirksam in den Knast wandern. Ramafelene Meissner, vom Tinnitus geplagter, in die 17-jährige, Sozialstunden leistende Bibi verknallter,  35-jähriger Sozialarbeiter und Leiter des Sonnenhofs bleibt skeptisch gegenüber dieser Idee. Seine desillusionierte Mutter, Mitbegründerin des Sonnenhofs und hafenstraßenerprobt, wird in den Plan nicht eingeweiht, Bibi jedoch träumt von einer längeren Auszeit mit Ramafelene in Tunesien und für Küwi, Sammler und immer mit einem Metalldetektor auf der Spur neuer Objekte unterwegs, entwickeln sich die neuen, veränderten Lebensumstände zu einem Abenteuer.

Natürlich klaffen Plan und Realität weit auseinander, persönliche Eitelkeiten behalten dem Idealismus gegenüber die Oberhand und führen zu einem Aufeinandertreffen der Protagonisten, das für Sebastian von Geelen mit einem verheerenden Unfall endet. Sydney Seapunks Weltrettungsplan scheitert also, sein  Optimismus wird zurechtgestutzt, aber als charmante Farce funktioniert der Roman trotz überschaubaren Plots und einer einfach gehaltenen Sprache bemerkenswert gut. Andreas Stichmann, der für seinen Erzählband Jackie in Silber u.a. den Clemens-Brentano-Preis erhielt, erzählt Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk aus der auktorialen Sicht, lässt sich aber teilweise in innere Monologe fallen, aus denen Küwi, Narr und gleichzeitig Held des Buches, als Empathiesieger hervorgeht.

Das von Sydney Seapunk ausgerufene „Jahrhundert der Empathie“ hat vielleicht noch nicht alle erreicht, aber von Küwi geht die Empathie aus und für ihn und einige andere Figuren des Romans empfinden wir sie. Das ist auch Stichmanns Stärke in diesem Buch, die Gabe, sich in die Gedankenwelt seiner Akteure hineinzuversetzen. Mag die Welt in Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk noch nicht für die große Umwälzung bereit sein, aber sie wird aufgerüttelt. Und optimistische Idealisten für die gute Sache wie Sydney Seapunk kann es nicht genug geben.

Andreas Stichmann: „Die Entführung des Optimisten Sydney Seapunk“, Rowohlt Verlag, Hardcover, 240 Seiten, 978-3-498-05850-2, 19,95 €.

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