Christiane Rösinger live in Hamburg – Konzertreview

Jeder ist in seiner eigenen Welt, aber Christiane Rösingers ist die richtige

Es gab Zeiten, in denen wollte Christiane Rösinger „immer schrein“. Damals 1991, als das Lassie Singers-Debüt-Album Die Lassie Singers helfen dir erschien und sich Rösinger und Kolleginnen immer „Falsche Gedanken“ machten und „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ besangen. Das Schreien hat die nunmehr 56 Jahre junge Sängerin und Schriftstellerin längst nicht mehr nötig. Unaufgeregt, locker und leger präsentiert Christiane Rösinger am 04.04.2017 im Hamburger Uebel & Gefährlich die Songs ihres neuen und vorzüglichen Albums Lieder ohne Leiden.

Mit der souveränen Keyboarderin Sonja Deffner (Die Heiterkeit), der coolen Schlagzeugrein Laura Landergott und dem virtuosen Gitarristen Andreas Spechtl (beide  Ja, Panik) verfügt Rösinger über eine formidable Band, mit der sie das 90-minütige Konzert mit dem Album-Opener „Kleines Lied zum Anfang“ schwungvoll beginnt. Für die Setlist in Hamburg habe sie sich das Motto „Wechselbad der Gefühle“ einfallen lassen, sagt sie später am Abend. Also keine Blöcke „schnell-schnell, langsam-langsam“, sondern eine emotionale Achterbahn mutet Rösinger ihren Fans zu. Zu der gehören alle Songs des neuen Albums, die sie mit kleinen, lustigen Anekdoten ansagt.

So sollte „Joy Of Ageing“ ursprünglich ein Besteller-Ratgeber-Sachbuch werden, doch seien die Recherchen dermaßen deprimierend gewesen, das sie doch lieber einen Song über das Thema geschrieben hätte. „Ich fühlte mich einfach zu jung für dieses Buch“, lässt sie das Publikum wissen. Zwischen die aktuellen Lieder streut Rösinger fünf Stücke aus dem ersten, 2010 veröffentlichten Solo-Album Songs Of Love And Hate ein, von denen das garagenbeatartige „Desillusion“, das traurige „Ich muss immer an dich denken“ sowie das scheppernde und quirlige  „Hauptsache raus“ herausragen. Letzteres gehört für Christiane Rösinger zur Kategorie „anstrengendes Lied“, genauso wie der aktuelle Hit „Eigentumswohnung“: schnell und viel Text.

Ihre frühere Band Britta kommt mit dem damals in Hamburg aufgenommenen „Ich würde Flyer drucken lassen“ zum Zuge und obwohl der Lassie Singers-Flair immer auch über den neuen Songs schwebt, huldigt Rösinger ihrer 90er-Jahre-Kultband erst im Zugabenblock. Nach dem dramatischen „Das gewölbte Tor“ (einer Briefvertonung Heinrich von Kleists) verlässt das Quartett die Bühne des Uebel & Gefährlich, kehrt mit dem deprimierenden, aber doch fröhlich machenden „Sinnlos“ zurück, fragt aus Britta-Zeiten „Wer wird Millionär“, bevor Christiane Rösinger den Lassie Singers-Klassiker „Mein zukünftiger Ex-Freund“ anstimmt und alte Zeiten wieder aufleben lässt.

Schöner als mit „Regen“, einem auf der letzten Lassie Singers-Platte Hotel Hotel veröffentlichten Cover des Bandmitbegründers Funny van Dannen, hätte das Konzert kaum enden können, doch Rösinger lässt sich für eine weitere Zugabe erweichen und setzt mit „Jeder ist in seiner eigenen Welt“ für alle Lassie Singers-Fans noch einen drauf. Und so schnell vergehen trotz teils trauriger Texte amüsante eineinhalb Stunden. Man kann Christiane Rösinger nur dankbar sein. Dankbar, dass sie ein wunderbares neues Album herausgebracht hat, dankbar dass auf Tour ist und dankbar, dass sie noch Britta- und Lassie-Singers-Songs spielt.

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