Peter Doherty live in Hamburg – Konzertreview

Das letzte Einhorn des Rock’n’Roll

Als Peter Doherty am 24.02.2017 überpünktlich um 20:15 Uhr die Bühne in der prall gefüllten Großen Freiheit 36 betritt, reiben sich viele im Publikum verwundert die Augen. Aus Köln und Frankfurt war die Nachricht gekommen, dass der 37-Jährige seine Gäste lange warten ließ – und überhaupt mal wieder in einem katastrophalen Zustand sei. Am Vortag seiner Hamburg-Show war er noch torkelnd in St. Pauli gesehen worden. Die Erwartungshaltung war demnach gedämmt. Aber Doherty ist auch in seiner Unzuverlässigkeit unzuverlässig. Hier, am Entstehungsort seiner letzten Platte „Hamburg Demonstrations“, zeigt er sich von Beginn an in mitreißender Spiellaune. Man merkt: Auf diesen Abend hat er hingefiebert.

Mit der linken Hand in der Hosentaschen seiner schwarzen Anzughose startet er den Abend in Entertainer-Manier mit dem großartigen „I Don’t Love Anyone (But You’re Not Just Anyone)“. Von den neuen Songs kommen fast alle zum Einsatz. Ob „Kolly Kimber“, „Flags From The Old Regime“, das brachiale „Hell To Pay At The Gates Of Dawn“ oder „The Whole World Is Our Playground“: Live wirken viele Stücke deutlich frischer als in der Studio-Version. Das gilt vor allem für „Down For The Outing“, bei dem Doherty sein Herz auswringt und besonders beseelt singt. Überhaupt ist sein Ansatz an diesem Abend bemerkenswert. Er wirft sich auf den Boden, nutzt das Mikrofonkabel zum Seilspringen, wirft Mikro und Ständer ins Publikum.

Ihm zur Seite steht eine neue Band aus fünf Musikern, zu der auch eine Geigerin und eine Keyboarderin gehören. Das gibt vielen Songs eine folkige Note, funktioniert aber ganz hervorragend. Dem Babyshambles-Track „Albion“ zum Beispiel ringt die band so eine ganz neue Seit ab. Auffällig ist, wie gut die Chemie der Mitglieder untereinander ist. Zwischen den Songs umarmen sie sich, geben sich High-five oder legen Stirn an Stirn. Doherty und Gitarrist Jack Jones tauschen sogar zärtliche Küsse aus. Das hier ist keine Band, das ist eine Gang. Auffällig ist, wie skizzenhaft, wie improvisiert vieles klingt. Das ist keine durchchoreografierte Show. Ohne Netz und Boden wirft sich Doherty in die Songs, die übrigen folgen ihm mit blindem Vertrauen.

Was in manchen Momenten unausgereift, unfertig bleibt, ist im nächsten so wahrhaftig und von der Schönheit des Einzigartigen durchweht, dass es einem die Kehle zudrückt. Dass Doherty tolle Songs schreiben kann, ist hinlänglich bekannt. Dass er sie an jedem Abend ein Stück neu erfindet, sie atmen lässt, zeigt seine wahre Größe. Stimmungsvolle Höhepunkte des Abends sind natürlich die Libertines- und Babyshambles-Songs. Zu „You’re My Waterloo“ liegen sich wildfremde Menschen in den Armen. Und beim abschließenden „Fuck Forever“, letzter Song der Zugabe nach rund 90 Minuten, bricht sowohl auf als auch vor der Bühne Chaos aus. Ein kurzer Blick ins Publikum, dann verlässt es die Bühne. Das letzte Einhorn in einer Rock’n’Roll-Welt voller Hengste.

Beitragsbild: Karsten Jahnke GmbH

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