Die HAM.LIT 2017 in Hamburg

Begeisternde Literatur und Musik bei der HAM.LIT 2017 im Uebel & Gefährlich

Im ausverkauften Uebel & Gefährlich trafen sich am 02.02.2017 fünfzehn Autoren und drei Bands zur HAM.LIT 2017, der langen Nacht junger Literatur und Musik. Bereits zum achten Mal findet diese Veranstaltung seit 2010 statt und wieder versammelten sich wichtige zeitgenössische deutsche Schriftsteller und potentielle Shootingstars der Literaturbranche in den obersten Räumen des Bunkers neben des FC St. Pauli-Stadions. Der Abend begann humorvoll mit Margarte Stokowski und endete witzig mit Sven Amtsberg. Die durch ihre taz- und Spiegel-Online bekannt gewordene Berlinerin sorgte für ein Novum bei der HAM-LIT, denn zum ersten Mal stand ein Sachbuch auf dem Programm. Jedoch kann man Margarete Stokowskis „Untenrum frei“ getrost in die Sparte des erzählenden Sachbuchs einordnen. Ihre vorgelesene Erinnerung an die frühpubertäre Lebensphase in den späten Neunzigern geht auf typische Problematiken wie Masturbation und Enthaarung ein und sorgt mit einem originellen Humor für brüllende Lacher im Publikum. Mit 13 Jahren bei H&M geklaute String-Tangas mit Snoopy-Motiv tragen, das hat was und erntet viel Sympathie.

Die ist Thomas Melle und sein für den Deutschen Buchpreis 2016 nominiertes Buch Die Welt dem Rücken ebenfalls gewiss. Nun waren die von Melle gelesenen Passagen seiner manisch-depressiven Erkrankung nicht das Highlight seines Vortages, sondern die anschließenden zwei Gedichte. Eins davon, nach Angaben des Autors zwischen „Robert Gernhardt und HipHop“ changierend, ist eine Replik auf den Verriss seines Buches durch Maxim Biller im Literarischen Quartett, der in dieser Sendung über Melles Die Welt im Rücken von einer „Katastrophe“ sprach. Thomas Melle begegnet Maxim Biller mit kluger und beißender Ironie, doch leider ist das Gedicht nicht für eine gedruckte Veröffentlichung gedacht. Das sollte sich Thomas Melle noch einmal überlegen, Robert Gernhardt ist tot, Nachfolger sind willkommen, das poetische Potential ist vorhanden. Im Anschluss an Thomas Melle las im Ballsaal des Uebel & Gefährlich Emma Braslavsky aus ihrem im Herbst letzten Jahres veröffentlichten Romans Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen. Der in der nahen Zukunft angesiedelte Plot dieses Abenteuerromans über die Zukunft unseres Planeten, mag in der Kürze der Zeit, allen auftretenden Personen werden lediglich 20 Minuten gewährt, etwas verwirren. Doch die in Berlin lebende Emma Braslavsky las so pointiert und emphatisch, dass man sehr schnell in den Strudel der Ereignisse hineingezogen worden ist.

Während in den Uebel & Gefährlich-Nebenräumen Terrace Hill und Turmzimmer eine Pause entstand, aus zeittechnischen Gründen finden bei der HAM.LIT diverse Auftritte parallel statt, weshalb hier leider nicht alle Teilnehmer erwähnt werden können, gab es im Ballsaal die erste Musik des Abends von Dear Reader zu genießen. Die sonst auch in Bandstärke auftretende Formation um Songwriterin  Cherilyn  MacNeil trat als Duo auf mit Gitarre, Keyboard und teilweise zweistimmigem Gesang auf und spielte harmonischen Folk-Pop mit teils sphärischen Untertönen. Das neue Dear Reader-Album Day Fever erscheint am 24.02. Wer dachte, aspekte-Literaturpreisträger Philipp Winkler würde seinen aufwühlenden Roman Hool als atemlose Tour de Force präsentieren, sah sich getäuscht. Vielmehr wählte Winkler, dessen literarisches Debüt auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2016 zu finden war und auch für Kontroversen sorgte, einen leisen und lakonischen Vorlesestil, um seinen Protagonisten, den Hooligan Heiko Kolbe, vorzustellen.Doch auch hier war nach 20 Minuten Schluss und im Terrace Hill folgten die beiden ausstehenden Musikevents.

Zunächst war der seit einigen Jahren in Hamburg lebend Songwriter Marcel Gein an der Reihe. Er sei schüchtern, aber gut gelaunt, ließ er die Gäste wissen und demonstrierte dies mit ein paar Songs aus seinem Album Passanten, wie der Heinrich Heine-Vertonung von „Die Augen sind es wieder“, die seinen Intellekt unterstreichen solle, so Gein vorab, oder mit „Saarbrooklyn“, das von ihm als „mein vielleicht stärkster Song“ angekündigt wurde. Dieser Aussage muss man nicht widersprechen, erinnerte sein Vortrag des Stückes doch sehr an den leider zu früh verstorbenen Nils Koppruch. Und der spielte eindeutig in der ersten Liga der deutschen Songwriter. Kurz vor dem Aufstieg in die oberste Spielklasse steh Lilly Brüchner, die als Lilly Among Clouds den letzten musikalischen Part der HAM.LIT 2017 übernahm. Egal, ob mit Piano und Cello-Begleitung wie in „Blood & History“, oder mit Bandverstärkung mittels Laptop bei „The Only One“, Brüchners Stimme und Kompositionen gehen tief unter die Haut und treffen ins Mark. „The Only One“ ist sowieso einer dieser unvergesslichen und perfekten 3:30 Minuten-Hammer-Popsongs. Am Debütalbum von Lilly Among Clouds wird fleißig gearbeitet, die Hoffnung auf ein baldiges Erscheinen bleibt.

Der Abschluss der diesjährigen HAM.LIT blieb dem Hamburger Lokalmatadoren Sven Amtsberg vorbehalten. Der in der literarischen Welt Hamburgs  umtriebige Amtsberg hat mit Superbuhei seinen im März erscheinenden Debütroman geschrieben, den er bei der HAM.LIT zum ersten Mal vor Publikum vorstellte. Sven Amtsberg lieferte eine großartige Performance ab. Sein in Hannover-Langenhagen, der Heimat der Scorpions, angesiedelter Roman um Kneipenbesitzer Jesse Bronske, der eine Wirtschaft namens „Klaus Meine“ leitet, scheint von überbordendem Witz zu sein, jedenfalls lassen die von Amtsberg gelesenen Passagen dien Schluss zu. Der vom Autor angekündigte Samba ist zwar nicht mehr getanzt worden, aber es war ja auch so schon eine lange Nacht. Eine lange Nacht mit viel empfehlenswerter Literatur und Musik.

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