John Williams: Augustus – Roman

Eine grandiose, fiktionale Geschichtsstunde

von Gérard Otremba

Erst ganz zum Schluss, im letzten Kapitel vor dem Epilog, kommt der römische Kaiser Augustus selbst zu Wort. In einem gut fünfzigseitigen Brief an den Intellektuellen Nikolaos von Damaskus zieht der 76-jährige Octavius Cäsar, dem Tode nahe, seine Lebensbilanz. Der damals mächtigste Mann der Welt in seinen letzten geschriebenen Worten auf die Normalsterblichkeit reduziert. Bis auf ganz wenige gekennzeichnete Passagen ist auch jener Brief aus John Williams‘ Roman Augustus von fiktionalem Charakter. Mit seinen Romanen Stoner und Butcher’s Crossing erhielt der 1922 geborene  und 1994 verstorbene amerikanische Schriftsteller in den vergangenen Jahren eine breite Anerkennung, für Augustus wurde er zur Lebzeiten, im Jahre 1973, mit dem National Book Award ausgezeichnet. Im Gegensatz zu seinen anderen Werken wählte John Williams für Augustus den Briefroman als literarische Form und landet damit einen echten Coup, von Bernhard Robben ausgezeichnet und stilvoll ins Deutsche übersetzt.

Für manchen Zweifler mag dies eine überholte und langweilige Literaturgattung sein, aber bei Augustus von John Williams ist das Gegenteil der Fall. In elaborierter Art lässt Williams ein lebendiges und farbenfrohes Panorama aus dem letzten Jahrhundert vor Christus entstehen, als Augustus ein von Bürgerkriegen erschüttertes römisches Reich befriedete, nachdem er von seinem ermordeten Großonkel Julius Cäsar testamentarisch adoptiert und als Nachfolger bestimmt worden war. Im jungen Alter von 18 Jahren nahm er die Ernennung an, rächte den Mord an Julius Cäsar und besiegte seinen Widersacher Marcus Antonius, der mit Cleopatra die Weltherrschaft an sich reißen wollte, 31 v. Chr. bei Actium. Friede, Ordnung und Wohlstand gehen allerdings zur Lasten der Freiheit in der Republik. Letztendlich stellt Williams in seinem Historienroman eine der essentiellsten Antriebspunkte der Menschheitsgeschichte in den Mittelpunkt: die Macht. Der ist alles Handeln Augustus‘ unterworfen.

Ein Macht- und Ränkespiel, dem auch seine geliebte Tochter Julia zu Opfer fällt, die er verbannt, um eine möglichen Hinrichtung zu verhindern, ließ sich Julia doch mit Verschwörern ein. Julias Tagebucheinträge gehören zu den stärksten Kapiteln des Romans, stammen sie von einer klugen, geistreichen und schönen Frau, die mit ihren zahlreichen Liebhabern lustwandelte, aber eben auch die Kehrseite der väterlichen Macht zu spüren bekam. Alle wichtigen Zeitzeugen Augustus’ kommen in diesem Roman zu Wort. So wechseln sich fragmentarische Passagen aus den Memoiren von Marcus Agrippa mit Briefen von Gaius Cilnius Maecenas (beide enge Vertraute des Kaisers seit der Jugendzeit) ab und berühmte Dichter und Denker wie Cicero, Vergil, Horaz und Ovid schenken dem Roman mit ihren Ausführungen die musisch-intellektuellen Reize.

Schmähgedichte, Senatsprotokolle sowie Briefe von Familienangehörigen und weiteren Personen des öffentlichen Lebens runden Williams‘ vortrefflichen Roman ab. Seine dokumentarischen Augustus-Zeugnisse unterliegen zwar einer chronologischen Reihenfolge, die Quellen jedoch können aus verschiedenen Jahrzehnten stammen. Noch ein kluger Trick, um den Spannungsbogen und den Abwechslungsreichtum des Romans zu erhöhen. Augustus von John Williams ist ein überragender, bedeutender und aktueller Epochenroman. Das große, menschliche Drama, von Williams in einer erhabenen, das Sujet jederzeit treffenden Sprache erzählt, eine stilistische Augenweide.

John Williams: „Augustus“, dtv, aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Robben, Hardcover, 480 Seiten, 978-3-423-28089-1, 24 €.

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