Archive: The False Foundation – Album Review

Die Reise der Sinne

Archive haben in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass sie das Überschreiten von Genregrenzen perfekt beherrschen, auf der Bühne brillieren und hypnotische Songs von epischer Länge komponieren können. „The False Foundation“ markiert laut Gründungsmitglied Darius Keeler jedoch einen Meilenstein in der Geschichte des kreativen Kollektivs, auf den er besonders stolz sei. Umso größer dürften die Erwartungen an ihr zehntes, selbstproduziertes Studioalbum sein. Und diese werden keineswegs enttäuscht. Archive bewegen sich auf „The False Foundation“ virtuos zwischen Industrial, Synthie, Progressive und Art Rock, ohne dabei konzeptlos oder beliebig zu wirken. Im Gegenteil: Die zehn Tracks fügen sich zu einem bemerkenswerten Werk zusammen.

Keine Genregrenzen, komplexe Gefühle

Der Opener „Blue Faces“ ist ein ruhiges, von Piano und Stimme getragenes Stück. Es zieht den Hörer in eine tiefe Stimmung zwischen Zartheit und Schwermut, in die sich nach und nach schwirrende Sounds einschleichen – erst subtil, dann mit immer mehr Nachdruck. Die besungenen „Blue Faces“ umzingeln den Hörer, schreiten auf ihn zu, ihre Stimmen ertönen im Chor bis zur Auflösung im Sound. Der sphärische Chor dominiert auch im psychedelischen „A Thousand Thoughts“, das ebenso wie „Sell Out“ Art Rock-Einflüsse à la Pink Floyd offenbart. Dabei handelt es sich hier nicht um Zitate, sondern um eine eigenwillige und moderne Adaption altbekannter Stilmittel. Das verträumte „Bright Lights“ hinterlässt ein ambiges Gefühl. Man fühlt sich vom warmen Gesang zugedeckt, bleibt aber im Zweifel. Zu bedrohlich wirkt der Beat, wie ein Marschieren auf gedämpftem Metallboden. Elektro- und Industrial-Elemente („Driving Nails“, „The Pull Out“, „Splinters“) bilden einen Kontrast zu den sanfteren Klängen des Albums. Der Titelsong „The False Foundation“ erweist sich als wundervoll tanzbarer Synthie-Track. Voller Brüche, unerwarteter Momente und Umwege vereint „The Weight Of The World“ zum Abschluss sämtliche Stimmungen des Albums zur Quintessenz. Das Changieren von Genre und Sound ist gleichsam ein Spiel mit den Gefühlen des Hörers: Sie sind nicht eindeutig, sondern komplex und widersprüchlich.

Körperlichkeit des Hörbaren

Möglicherweise haben Archive mit „The False Foundation“ den Zenit ihres künstlerischen Schaffens erreicht, was sich vor allem in der Körperlichkeit der Kompositionen zeigt. Die Londoner erzeugen Klangerlebnisse, die trotz ihrer extremen Künstlichkeit organisch wirken: verzerrtes Krähengeschrei („A Thousand Thoughts“), das monotone Einschlagen von Nägeln in Holz („Driving In Nails“) oder unzählige Splitter unter der Haut („Splinters“). Man spürt, was man da hört. Und will es anfassen. Das Hörbare hat einen eigenen Körper, der mit dem des Hörers in Interaktion tritt. Es berührt einen vorsichtig, geradezu zärtlich, irritiert und tut an einigen Stellen etwas weh, doch vor allem ist es eines: ein Erlebnis, das die Sinne auf eine wundervolle Reise schickt.

„The False Foundation“ von Archive ist am 07.10.2016 bei Dangervisit / PIAS Cooperative erschienen. 

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Archive | Driving in Nails from NYSU on Vimeo.

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