Eva Schmidt: Ein langes Jahr – Roman

Knappe, distanzierte, lakonische und eindringliche Prosa

von Gérard Otremba

Die österreichische Schriftstellerin Eva Schmidt debütierte 1985 mit dem Erzählband Ein Vergleich mit dem Leben, für den sie einige Auszeichnungen, wie zum Beispiel den Rauriser Literaturpreis, erhielt. Wenige Jahre später folgte noch die Erzählung Reigen, und 1997 der Roman Zwischen der Zeit (alle Bücher im Residenz Verlag veröffentlicht), mit dem die literarische Karriere Schmidts vorerst endete. Nach fast zwanzig Jahren meldet sich die nunmehr 64-jährige Autorin mit dem auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stehenden Roman Ein langes Jahr zurück. Doch wer nun denkt, es handle sich nach so langer Zeit um das ultimative 1000-seitige Gesellschaftsepos, der täuscht. Ein langes Jahr ist ein schmales Bändchen von knapp mehr als 200 Seiten geworden, das in 38 kurzen Kapiteln einen Blick auf das Leben der Bodensee-Stadt (und Eva Schmidts Wohnort) Bregenz wirft.

Zwar wird der Ort nicht explizit genannt, doch lassen geographische Hinweise diesen Schluss zu. In Eva Schmidts Episodenroman wimmelt es von zahlreichen Personen, die zunächst lose ins Geschehen geworfen werden. Manche ihrer Wege kreuzen sich im Verlauf des Romans, manche bleiben isoliert. Die Bewohner einer Siedlung mit dem sogenannten „Steckdosenhaus“ im Zentrum sind der Mittelpunkt von Schmidts neuem Roman. Menschen aus allen Schichten und verschiedener Couleurs, mit allen ihren Hoffnungen, Sehnsüchten und Träumen. Von älteren Ehepaaren, über alleinstehende Männer und Frauen bis hin zu pubertierenden Jugendlichen sind alle Alters-, von Müßiggängern, Künstlern, Dealern, Obdachlosen, Gutsituierten und finanziell schwach Gestellten, auch verschiedene gesellschaftliche Schichten vertreten. Und diverse Hundebesitzer bevölkern den Roman.

Das verbindende Element fast aller Protagonisten ist letztendlich die individuelle Einsamkeit. Obwohl die Figuren nach Empathie schreien, bleibt Schmidts Prosa zumeist distanziert und unterkühlt. Zwischen der Ich- und der allwissenden Erzählstimme changierend, konzentriert sich Eva Schmidt in zumeist kurzen und prägnanten Sätzen auf das Beobachten und Beschreiben, Erklärungen bleiben außen vor. Doch so reserviert Schmidts Stil auch erscheinen mag, es sind immer wieder berührende Passagen darunter, die unter die Haut gehen, wie die Begegnung der Ich-Erzählerin mit dem Obdachlosen Wolfgang, oder die melancholische Erinnerung des Drogendealers Ritter am Ende des Kapitels „Du bist nicht mein Vater“ sowie Bens Verarbeitung des Unfalltodes seiner Nachbarin Ayse, in die er sich verliebt hat, während eines Besuchs bei der kranken Künstlerin Karin. Ein langes Jahr von Eva Schmidt ist ein leiser und lakonischer Roman, der trotz seiner Kürze Längen aufweist, aber in entscheidenden Augenblicken durch eindringliche Schilderungen gewinnt.

Eva Schmidt, „Ein langes Jahr“, Verlag Jung und Jung, Hardcover, 212 Seiten, 978-3-99027-080-6, 20 €.

Eine weitere Rezension hat Buchpreiskollegin Sophie Weigand auf Literaturen veröffentlicht.

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