Ernst-Wilhelm Händler: München – Gesellschaftsroman

Ein Gesellschaftsroman über die reichen Snobs Münchens

von Gérard Otremba

Ernst-Wilhelms Händlers neues Buch München  nennt sich Gesellschaftsroman, bildet jedoch nur einen winzigen Ausschnitt unserer sozialen Wirklichkeit ab, nämlich den der Reichen und irgendwie auch Gelangweilten. Die Erbin Thaddea Klock, Anfang 30, besitzt zwei Angeberhäuser in Schwabing und Grünwald, macht sich als Therapeutin selbständig und schlittert in eine ernste Krise, als ihr Galeristen-Freund Ben-Luca sie mit ihrer besten Freundin, der Architektin Kata betrügt. Die kurzzeitigen Selbstmordgedanken weichen aber rasch der distanzierten Analyse Thaddeas, der es an Empathie, Leidenschaft und Interesse mangelt, auch ihren kaum vorhanden Patienten gegenüber, denn therapeutische Ursachenforschung ist ihre Sache nicht.

Sie bricht den Kontakt mit Ben-Luca und Kata ab, lernt auf einer Schicki-Micki-Party eines RTL-Produzenten einen älteren Schriftsteller kennen, nimmt an wahnwitzigen Kunstevents teil, kauft teure Klamotten in einem Prada-Geschäft, begleitet „Pimpi“, ihren, einen extravaganten Porsche fahrenden Bekannten aus der Immobilienbranche, zu einem Dinner mit Prinz-Herzog Franz am Herrenchiemsee und beginnt halbherzig an einem Roman zu schreiben. Thaddeas ganzes Leben wirkt unterkühlt und fast apathisch. Von Ernst-Wilhelm Händler zwar absolut adäquat in Szene gesetzt, doch verliert er sich leider auch in ellenlangen Mode- und Kunstbeschreibungen, die auf Dauer einfach langatmig ausfallen. Und Spannung möchte im Leben Thaddeas ebenfalls nicht so wirklich aufkommen. Der Roman hat aber zweifellos auch seine positiven und witzigen Passagen, wenn Händler beispielsweise seinen Blick schweifen lässt.

Thaddea bedachte den Schriftsteller mit einem restlos unprofessionellen ungläubigen Blick. Vor anderen Leuten in ein Diktiergerät zu sprechen, das hatte etwas von Psichiatra aperta an sich. In Italien hatte man in den siebziger Jahren die psychiatrischen Kliniken geschlossen, weil Geisteskrankheiten keine Krankheiten mehr sei sollten, sondern stigmatisierende Zuschreibungen der Gesellschaft für abweichendes Verhalten darstellten. Das hatte dazu geführt, dass man in den Großstädten auf der Straße und in den öffentlichen Verkehrsmitteln häufig vor sich hinredende, gestikulierende, manchmal auch schreiende Menschen traf, die es aber wiederum gewohnt waren, ignoriert zu werden. Solchen Menschen begegnete man als Folge des Fortschritts der Telekommunikation mittlerweile überall.

Leider traktiert Händler den Leser auch mit Therapiesitzungen Thaddeas mit einer Planerin sowie einigen Mitarbeitern des Radiosenders „Entropy“, an dem ihr Freund „Pimpi“ beteiligt ist und der ihr die Kunden zuschustert. Dieser Sender spielt „Deep House, Future Trance, Suicidal Trance und Chill Wave“, also langweilige Musik für gelangweilte und manierierte Snobs, die Händler zum Gegenstand seines Romans München erkoren hat. An Händlers Prosa gibt es nichts zu bemängeln, aber vielleicht hätten ironische Stilmittel der Satire den merkwürdigen Figuren mehr Esprit eingehaucht. Vielleicht taugt die Reichenklientel Münchens aber noch nicht mal mehr für eine gute Satire. München von Ernst-Wilhelm Händler liest sich wie der diametrale Gegenentwurf zu Philipp Winklers Hool. Beide Romane zeugen allerdings in ihren unterschiedlichen Ansätzen von der literarischen Vielfalt der Longlist des Deutschen Buchpreises.

Ernst-Wilhelm Händler: „München“, S. Fischer, Hardcover, 978-3-10-397207-8, 23 €.  

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