Gerhard Falkner: Apollokalypse – Roman

Der Himmel über Berlin und der Teufel auf Erden

von Gérard Otremba

In der Wortschöpfung „Apollokalypse“ steckt bereits die genuine Essenz dieses Romans und mithin der dienliche Hinweis auf den Inhalt des gleichnamigen Prosadebüts des 1951 geborenen Gerhard Falkner. Das Schöne (Apollo), die Verführung (Kalypso) und die Zerstörung (Apokalypse). Drei treibende Kräfte des Lebens, von Gerhard Falkner in einer Art göttlicher Komödie mit teuflischem Beistand auf höchst raffinierte, elaborierte, aber auch vergnügliche Art und Weise in schriftliche Form gegossen. Georg Autenrieth, Ich-Erzähler von Apollokalypse, ist eine undurchsichtige und zwielichtige Person. Er schreibt seine Memoiren nieder, obwohl sein Gedächtnis deutliche Lücken aufweist („Erinnerung eines Mannes ohne Erinnerung“ heißt folgerichtig eines der ersten Kapitel).

In den Schilderungen seiner Biographie begibt sich Georg Autenrieth gleichzeitig auf die eigene Identitätssuche. Im Mittelpunkt stehen Autenrieths ausschweifende Berlin-Jahre in den 70er, 80er und 90er Jahren, mit den Städten München, San Francisco, New York, Frankfurt und Nürnberg in den Nebenrollen. In Nürnberg in den 50er Jahren aufgewachsen, gerät Autenrieth zu Beginn der Siebziger in den Dunstkreis der Roten Armee Fraktion (RAF) und das Spiel mit den Identitäten beginnt. Mit seinen beiden besten Freunden, dem manisch-psychotischen Künstler Heinrich Büttner (einem Grenzgänger zwischen Genie und Wahnsinn)  und dem Bonvivant Dirk Pruy, wirft er sich in ein orgiastischen Leben aus Sex, Drugs & Rock’n’Roll, irgendwo zwischen David Bowie, Iggy Pop und Blixa Bargeld (die alle ihren Kurzauftritt in Apollokalypse bekommen). In die Kunststudentin Isabel sind Büttner, Pruy und Autenrieth allesamt verliebt, mit allen beginnt sie ein Verhältnis. Doch es gibt Phasen, in denen Autenrieth einfach mal verschwindet und untertaucht.

Das rauschhafte Leben endet zwischenzeitlich, als Heinrich Büttner Anfang der 90er den Freitod wählt, Autenrieth sich von Isabel trennt und in Berlin-Steglitz als „Glasmann“ in seine Zeit der Unsichtbarkeit verfällt. Nach über einem Jahr wagt er sich aus der absoluten Anonymität heraus, lernt die aus Bulgarien stammende Bilijana kennen und sein ausschweifendes und undurchschaubares Leben geht weiter. Gerhard Falkners Apollokalypse ist eine exzessive Tour de Force durch ein pulsierendes Berlin. Der Roman fängt die Stimmung und die Atmosphäre zwischen 80er-Underground (Kreuzberg) und 90er-Mainstream (Mitte) des damaligen Berlin perfekt ein und ist gleichzeitig eine vortreffliche Liebeserklärung an die bundesdeutsche Hauptstadt, jedoch nicht ohne kritische Distanz. Apollokalypse ist ein völlig verkopfter und exaltierter Roman, der mit Sätzen wie

Sie gab ihr, meiner Mutter, zu verstehen, dass sie sie, in ihrem Hause, womit sie sowohl ihr Haus als auch die Firma meinte, nicht mehr sehen wolle, weil sie, wie sie sagte, meinen Vater, also ihren Sohn, mit ihrer Renitenz und ihrer Vergnügungssucht ins Grab gebracht habe, womit sie ihr, ohne diese beiden unterstellten Todesursachen mit der medizinischen abzugleichen, fristlos die Prokura kündigte, die mein Großvater ihr bei der Heirat mit meinem Vater erteilt hatte, und stieß damit meine Mutter in den Haushalt und somit in meine unmittelbarste Umgebung zurück, worauf weder ich noch diese Umgebung gefasst waren.

nur so um sich wirft. Zweifellos muss man sich auf diese konstruierten Schachtelsätze einlassen, doch erhöhen eben jene das intellektuelle Vergnügen des Romans um ein Vielfaches. Selbst Falkners derb-vulgären Auslassungen ist noch eine literarische Finesse zu entnehmen („Sie war unglaublich erregt vom vollendeten Umgang, den er ihr gegenüber in jeder Situation zeigte, und wenn auch ihre vaginale, fast hätte ich gesagt: Präokkupiertheit, etwas milder ausgedrückt: ihre vaginale Neigung, aus der heraus sie beim Sex nach einem Gerammtwerden sich sehnte, weil nur das die Goldadern eines tiefrot sich entzündenden Gehirns zum Leuchten und Ausschmelzen brachte, immer etwas bekümmert auf den klitoralen Ersatz blickte, so war sie dennoch glücklich.“).

Manche Passagen wiederum sind mithin mysteriös, verwirrend, merkwürdig und befremdlich, den Sprachwendungen eines Botho Strauß nicht unähnlich. In einem so wortmächtigen Epochenroman wie Apollokalypse es ist, dürfen natürlich zahlreiche Anspielungen auf geschichtliche, zeitgeschichtliche und kulturelle Themen nicht fehlen (die Dichte und Bandbreite ist in Apollokalypse eine enorme). Apollokalypse von Gerhard Falkner, der bislang zu den wichtigsten deutschen Gegenwartslyrikern gehörte und der viele Jahre an diesem Roman arbeitete, ist ein „YAWP“, ein großes „YAWP“, ja, ein barbarisches „YAWP“, das Sie anschreit, Sie fordert, alles aus sich und Ihnen herausholt. Lassen Sie sich Gerhard Falkners teuflisches Spiel mit den Existenzen, Erinnerungen und Wahrnehmungen, sein teuflisches und komplexes Spiel zwischen Eros und Thanatos nicht entgehen. Apollokalypse ist ein wahnsinniger, ein größenwahnsinniger, ein genialer Roman. Ein Roman, der wie selbstverständlich auf die Longlist des deutschen Buchpreises 2016 gehört.

Gerhard Falkner: „Apollokalypse“, Berlin Verlag, Hardcover, 432 Seiten, 978-3-8270-1336-1, 22 €.

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Kommentare

  • <cite class="fn">Eva Jancak</cite>

    Ein interessantes Buch mit der interessanten Ambivalenz, die wohl auch das Thema desselben ist!
    Zuerst war ich sehr neugierig, denn einige Blogger hätten es ja gerne auf der Shortlist gesehen, dann las ich die Diskussion darüber und auch vom Abbruch am „Buchpreis-Blog“.
    Da war ich selber schon über Seite hundert und hätte es wahrscheinlich von den zwölf, die ich bis jetzt gelesen habe, ganz unten gereiht.
    Denn was soll denn das? Vierhundert unverstänliche Seiten, ein Hin-und Herspringen, eine derbe männliche Sprache, die vom Vögeln, Scheißen, Kacken, erzählt und immer wieder Andeutungen, die man nicht versteht.
    Bei mir hat es fast bis an den Schluß gedauert, bis ich das Buch verstanden habe und mir die Frage stellte, ob es nicht vieleicht doch besser, als das des Frank Witzels https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/11/13/die-erfindung-der-roten-armee-fraktion-durch-einen-manisch-depressiven-teenanger-im-sommer-1969/ist.
    Das Problem ist dabei nur, wir heutigen Leser sind ja so ungeduldig und werfen etwas, was wir nicht gleich verstehen, schnell vorzeitig weg und so ist Gerhard Falkner vielleicht auch nicht auf die Shortlist gekommen, obwohl er ja selber oft über den richtigen und falschen Zeitpunkt am richtigen oder falschen Ort, zu sein schreibt!
    Lebe Grüße aus Wien

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