Ronja von Rönne: Wir kommen – Roman

Ein kurzer Roman über die neue, zu therapierende Kreativ-Gesellschaft

von Gérard Otremba

Der Therapeut ist an allem schuld. Nein, nicht wirklich, doch Nora, Ich-Erzählerin in Ronja von Rönnes Debütroman Wir kommen, hat das Problem, dass ihr Psychotherapeut nach der zweiten gemeinsamen Sitzung in Urlaub fährt und Nora rät, ihren Tagesablauf und ihre Gedanken in der Zwischenzeit niederzuschreiben. So werden wir Zeugen von Noras 200-seitiger Schreibtherapie, und dass Therapien in diesem Fall angebracht sind, verwundert bei der Auswahl der Protagonisten und deren Konstellationen und Lebensentwürfe in der heutigen Gesellschaft nicht.

Nora lebt in einer Beziehung mit Jonas. Vorher war sie mit ihrem alten Schulfreund Karl zusammen, bis dieser eines Tages Leonie mitbrachte. Sie einigen sich auf eine offene Vierer-Beziehung, die zwar als Halt dient, aber nicht wirklich glücklich macht. Jedenfalls nicht Nora, die aufgrund von nächtlichen Panikattacken zur Therapie geht. Alle vier arbeiten mehr oder weniger als Kreative, Nora beim Fernsehen für „Die Super-Shopper“ („Für diese Show muss ich mit drei dicken Hausfrauen einkaufen gehen, und später werden sie genauso wie vorher aussehen, nur mit anderen Klamotten und besser belichtet.“), Karl schreibt an einem Glücks-Ratgeber, Jonas ist Grafiker und Leonie betreibt ein Ernährungszentrum und hat eine kleine, nicht sprechende Tochter.

Als Nora die Nachricht vom Tode ihrer besten Schulfreundin erhält, bekommt ihre persönliche Krise einen Schub und da es im Vierer-Geflecht ebenfalls bröckelt, beschließt das Quartett, eine Auszeit vom Großstadtleben zu nehmen und fährt an die See. Dort ist das Leben nur vermeintlich einfacher, eine große Party soll die Seelenpein der Protagonisten lindern („Es muss die beste Feier aller Zeiten werden. Sie muss uns heilen. Sie muss Karl die Neurosen nehmen und mir die Apathie und Jonas die Hoffnungslosigkeit. Leonie kann ja solange Gimlets mixen.“). Ronja von Rönnes Roman Wir kommen ist bevölkert von modernen Narzissten, die den gesellschaftlichen Zwängen zwangsläufig zum Opfer fallen („Karl erklärte, die ständige Verfügbarkeit sei die Ursache unserer Probleme, wir seien jetzt im Urlaub, wozu wir die Dinger überhaupt noch bräuchten, wir hätten doch uns, das reiche, das reiche völlig.“).

Die folgende Zerstörungsorgie ihrer Smartphones und Tablets (okay, ein technisches Gerät wird nicht angetastet) trägt geradezu anarchistische Züge und sorgt, wie einige andere Roman-Passagen ebenfalls, für humoristische Augenblicke. Wir wohnen zwar der Nabelschau einer gelangweilten, phlegmatischen Twenty-Something-Generation bei, die Ronja von Rönne in ihren besten Momenten jedoch satirisch und auf den Zahn fühlt und als eine Ansammlung neurotischer Egozentriker entlarvt. Ronja von Rönnes Schreibstil steht zwar nicht in der klassischen deutschen Erzähltradition, ihre Ideen und ironischen Seitenhiebe allerdings sind überaus treffend. Nicht Ronja von Rönnes Roman Wir kommen gehört therapiert (wie es manche Kritikerkollegen in ihren Rezensionen implizieren), sondern die von ihr beschriebene Kreativ-Gesellschaft. Und wenn es dann nicht besser wird, dann kann man die Schuld immer noch auf den Therapeuten schieben.

Ronja von Rönne: „Wir kommen“, Aufbau Verlag, Hardcover, 208 Seiten, 978-3-351-03632-4, 18,95 €.

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