Richard Yates: Cold Spring Harbor – Roman

Ein fabelhafter Roman über den Fatalismus irdischen Daseins

von Gérard Otremba

Richard Yates war ein Chronist der Desillusionierung des amerikanischen Traums. Und ihm selbst erging es nicht viel anders als den meisten Protagonisten seines letzten Romans. Als Cold Spring Harbor 1986 im amerikanischen Original erschienen ist, war Richard Yates längst zur Randfigur der Literaturszene verkommen und von langjährigen Alkoholproblemen gezeichnet. Nach seinem Romandebüt Revolutionary Road (in Deutsch: „Zeiten des Aufruhrs“, 2008 mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio verfilmt) von 1961 ging es mit seiner Karriere stetig bergab. Die verdiente Lobpreisung auf sein Werk erhielt Richard Yates erst posthum, nachdem sein schreibender Kollege Stewart O’Nan (Der Engel im Schnee) 1999, also sieben Jahre nach Yates‘ Tod, in der Boston Review einen Aufsatz verfasste, der zur Wiederentdeckung des Autors führte und dessen literarisches Werk im hiesigen Sprachraum fortan von der Deutschen Verlags-Anstalt veröffentlicht worden ist. Ein gerechtfertigter später Ruhm, denn tatsächlich sollte der Name Richard Yates in einem Atemzug mit John Updike, Raymond Carver, Kurt Vonnegut oder Richard Ford genannt werden.

In Cold Spring Harbor, einem kleinen Städtchen auf Long Island, wohnt in den 1940er Jahren das Ehepaar Charles und Grace Shepard, das besorgt um die Zukunft ihres Sohnes Evan ist. Dieser hat bereits in jungen Jahren eine gescheiterte Ehe hinter sich, ist Vater einer kleinen Tochter und träumt von einem Maschinenbaustudium. Nach einer Autopanne lernt er mit seinem Vater, einem ehemaligen Militär mit kleiner Laufbahn, in New York City zufällig die redselige und dem Alkohol zugeneigte Gloria Drake und ihre Kinder Rachel und Phil kennen. Evan verguckt sich in Rachel, die beiden heiraten, erwarten ein Kind und ziehen zusammen mit Gloria, die ihrerseits wiederum Evans Vater Charles anhimmelt, und Phil in ein großes, aber heruntergekommenes Haus, das Gloria in der Nähe der Shepards in Cold Spring Harbor gekauft hat. In dieser Konstellation ist die Ehe zwangsläufig zum Scheitern verurteilt, genauso wie alle anderen Träume der Protagonisten. Folgerichtig beginnt Evan eine Affäre mit der Mutter seiner Tochter und verliert nach und nach die Contenance, während sich Rachel dem Schicksal ihres kommenden Mutterdaseins hingibt.

Mit seiner klaren, präzisen und realistischen Prosa seziert Richard Yates das Leben des sogenannten kleinen Mannes, wohl wissend, dass es in den USA vielleicht jeder schaffen kann, aber eben nicht alle. Und „alle“ sind nun mal die Mehrheit. So bleibt der „American Dream“ für die meisten eine große Illusion, einzig der junge, sensible, in der Adoleszenz befindliche Phil Drake, der trotz fehlender finanzieller Mittel auf eine Privatschule darf, bleibt ein Hoffnungsschimmer dieses sonst so trostlosen Settings. Die Sehnsüchte der anderen bleiben unerfüllt, die Menschen zur Resignation verdammt. Ein ausgezeichneter Roman über den Fatalismus irdischen Daseins.

Richard Yates: „Cold Spring Harbor“, DVA, übersetzt von Thomas Gunkel, Hardcover, 978-3-421-04610-9, 19,99 €.

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