Jane Gardam: Ein untadeliger Mann – Roman

Für die Liebhaber feingeistiger, englischer Literatur

von Gérard Otremba

Very british. Der Roman Ein untadeliger Mann von Jane Gardam, im englischen Original bereits 2004 erschienen, besticht durch eine stilvolle Eleganz, sanft erhaben und leicht snobistisch wie die Titelfigur Edward Feathers. Der ehemalige Kronanwalt ist in die Jahre gekommen. Mit 80 muss er den Tod seiner langjährigen Ehefrau Betty verkraften, ein Erlebnis, das ihn zu einer Reise in die eigene Vergangenheit führt. Denn die war nicht so einfach, wie sich die typisch englische Fassade seiner selbst nach außen immer darstellte. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt in Malaya, sein vom ersten Weltkrieg traumatisierter Vater vernachlässigte seinen Sohn und schickte ihn als kleinen Jungen ins englische Königreich, wo er als sogenannter Raj-Waise mit zwei Cousinen von einer fremden Pflegefamilie mit liebloser Strenge erzogen worden ist. Später fand er in dem ein Jahr älteren Pat Ingoldby einen guten Freund und in dessen Verwandtschaft eine Art Ersatzfamilie, bevor der zweite Weltkrieg diese Banden zerstörte.

Anschließend wurde Edward Feathers Anwalt. Und da die Mandanten in London nach dem Krieg nicht eben Schlange standen, ergriff er die ihm sich bietende Chance, in Hongkong als Anwalt für Baurecht Karriere zu machen. So erhielt Feathers auch seinen Spitznamen „Old Filth“, steht „Filth“ in diesem Fall doch für „Failed in London try Hongkong“. Feathers hat es versucht, es hat funktioniert und nachdem Hongkong an China übergangen war, kehrte er als durchaus wohlhabender Mann nach England zurück. Die 1928 geborene Jane Gardam erzählt die Geschichte von Edward Feathers in anachronistischer Folge. Immer wieder springt sie aus der Gegenwart in die Vergangenheit und hält sich auch dort an keinen roten Faden. Feathers frischt seine Erinnerungen auf, indem er nach Jahren wieder Kontakt zu seinen Cousinen aufnimmt und im Zuge dessen einem Pfarrer (obwohl nicht wirklich gläubig) gar ein dunkles Geheimnis beichten möchte, an dem alle drei beteiligt waren.

Gardam umspannt in Ein untadeliger Mann fast ein ganz Jahrhundert und erfindet in ihrem Protagonisten Edward Feathers einen kauzigen und schrulligen älteren Herrn, den die Zeit überholt hat. Die Gebrechen Feathers‘ sind auch der Abgesang auf das British Empire. Mit subtiler Ironie ficht Jane Gardam in ihrer sprachlichen Gestaltung eine feine Klinge, unaufgeregt, aber jederzeit charismatisch und tief verwurzelt in der englischen Erzähltradition. Für literarische Feinschmecker. Ein untadeliger Mann ist der Auftakt der „Old Filth Trilogie“, die im Frühjahr und Herbst 2016 fortgesetzt wird.

Jane Gardam: „Ein untadeliger Mann“, Hanser Berlin, aus dem Englischen von Isabel Bogdan, Hardcover, 978-3-446-24924-0, 22,90 €.

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