Pamela Moore: Cocktails – Roman

Die Wiederentdeckung eines genialen Romans von 1956

von Gérard Otremba

Bei seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1956 galt der Roman Cocktails für viele als Skandalliteratur. Im Original mit dem harmlosen Titel Chocolates for Breakfest versehen (in deutscher Übersetzung Cocktails zum Frühstück) muss es in den prüden USA der 50er Jahre eine ähnlich schockierende Wirkung gehabt haben wie der aufkommende Rock’n‘Roll oder der James Dean-Film „…denn sie wissen nicht, was sie tun“. Es war ein Kultroman, der viele Jahre vergriffen blieb und nun dankenswerterweise wieder aufgelegt worden ist, denn so kommen wir Nachgeborenen zu dem großen Lesegenuss dieses brillanten Romans.

Die fünfzehnjährige Courtney Farrell ist unzufrieden mit ihrem Internatsleben an der amerikanischen Ostküste. Zwar eine gute Schülerin, aber ein jugendlicher Weltschmerz und die damit einhergehende Melancholie und der Hang zur Depression machen sie zu einer Außenseiterin unter den Gleichaltrigen, die Courtney überhaupt nicht interessieren und viel zu belanglos erscheinen. Lediglich mit der etwas ausgeflippten, ein Jahr älteren, Zimmernachbarin Janet Parker schließt sie Freundschaft und findet außerdem Zutrauen und Verständnis bei einer Lehrerin. Nachdem diese jedoch den Kontakt mit ihr abbricht, vergrößert sich Courtneys Einsamkeitsgefühl und sie zieht zu ihrer geschiedenen Mutter nach Hollywood.

Courtney lernt die Glitzerwelt ihrer schauspielernden Mutter kennen, trinkt zum Frühstück Martinis, liegt am Pool und beginnt, mittlerweile 16 Jahre jung, eine Affäre mit einem zwölf Jahre älteren, bisexuellen Darsteller. Doch ihre Unzufriedenheit und Müdigkeit wächst und da sich die Karriere ihrer Mutter auf dem absteigenden Ast befindet, ziehen die beiden nach New York, wo ihr Vater wohnt. Dort nimmt Courtney wieder Kontakt zu Janet Parker auf, die sie in eine Welt der Cocktailpartys der studentischen Schnösel-Elite einführt, die nichts Besseres zu tun hat, als sich jeden Abend volllaufen zu lassen. Courtney lässt sich treiben und beginnt ein Verhältnis mit dem dekadenten und reichen Anthony. Doch das vermeintlich schöne Leben kann die Hilflosigkeit und Selbstzweifel Courtneys indes nicht bezwingen.

Cocktails von Pamela Moore ist ein genialer Coming-of-Age-Roman. Eine Art weibliche Ausgabe und fehlender Mittelteil zwischen Der Fänger im Roggen von J.D. Salinger (1951) und Die Reifeprüfung von Charles Webb (1963). In messerscharfen, pointierten und phantastischen Dialogen seziert sie das Innenleben ihrer Protagonistin und entlarvt die Mechanismen einer repressiven Gesellschaftsstruktur. Damalige Tabu-Themen wie Homosexualität, Alkoholismus, Scheidung, Gewalt, und Suizid geht Moore offensiv und exzessiv an, allumfassende Themen wie Liebe, Jugend, Träume, Freundschaft, Identitätsfindung und die Suche nach dem Platz in der Gesellschaft machen Cocktails zu einem zeitlosen und somit immer noch aktuellen Roman. Zweifellos einer der besten Adoleszenzromane aller Zeiten. Cocktails ist rebellisch, sexy, charmant, couragiert und selbstbewusst. Und ein markerschütternder Hilferuf, den niemand vernahm.

„Courtney war wie ihre Mutter. Selbst wenn sie zu ertrinken drohte, würde sie ihre Retter noch mit einem letzten trotzigen Winken davonschicken, weil es nur Fischer in einem Ruderboot waren und sie von einer Jacht gerettet werden wollte.“

Pamela Moore rettete weder eine Jacht, noch ein Ruderboot. Nur acht Jahre nach der Veröffentlichung des Romans nahm sich diese begnadete Schriftstellerin im Alter von 26 Jahren das Leben. Mit Cocktails hinterließ sie ihr Vermächtnis. Ein Roman, der hoffentlich bald wieder zum Kultbuch avanciert und bis in alle Ewigkeit lieferbar bleibt.

Pamela Moore: „Cocktails“, Piper Verlag, aus dem Amerikanischen von Tanja Handels, Hardcover, 978-3-492-05692-2, 20 €.  

Kommentare

  • <cite class="fn">Mareike</cite>

    Lieber Gérard,

    du bestätigt meine Hoffnung, dass dieses Buch eine Menge zu bieten hat. Ich freue mich umso mehr darauf, es demnächst zu lesen.
    Besonders schön finde ich deine Einordnung zwischen Der Fänger im Roggen und Die Reifeprüfung. Für mich eine sehr logische und schöne Einordnung.

    Liebe Grüße
    Mareike

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