Blumfeld live in Hamburg – Konzertreview

Als wären sie nie weg gewesen: Blumfeld begeistert das Hamburger Publikum in der Großen Freiheit 36

von Gérard Otremba (Beitragsfoto von Frank Engel)

In der Erinnerung waren Blumfeld lauter. Damals vor 20 Jahren, im Oktober 1994 bei ihrem Konzert im Mainzer KUZ. Es war die Tour zum kurz davor erschienenen Meisterwerk L’Etat Et Moi, zweifellos eines der besten deutschen Rockalben aller Zeiten. Und Gutes verjährt nicht, weder auf Platte und schon gar nicht live, wie es Blumfeld am 14.09.2014 in Hamburgs Großer Freiheit 36 eindrucksvoll beweisen. Es ist immer ein zweischneidiges Schwert, wenn Bands aus dem Ruhestand zurückkommen, Blumfeld hat sich 2007 offiziell aufgelöst, um ein bestimmtes Album zu feiern. Das uninspirierte Herunterleiern der Songs von It’s A Shame About Ray von den Lemonheads vor zwei Jahren im Uebel & Gefährlich diente als negatives Beispiel, Blumfeld machen es in der Freiheit besser. Als um 20.30 Uhr Sänger und Gitarrist Jochen Distelmeyer, Bassist Eike Bohlken und Schlagzeuger Andre Rattay, später von einem weiteren Gitarristen unterstützt, die Bühne betreten und mit dem melancholischen Indie-Pop „Draußen auf Kaution“ beginnen, stellt sich sofort Gänsehautatmosphäre ein, keine verklärte Nostalgie, sondern ein tief empfundenes Glücksgefühl, den Song nochmal live erleben zu dürfen. Und dann folgen weitere Stücke von L’Etat Et Moi, der fiebrige Punk-Rock von „Jet Set“, der Sixties-Garagen-Rock von „2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß“, das folk-rockige „Walkie, Talkie“, das legere „Ich – wie es wirklich war“ und das immer noch einen ungeheuren Furor entfachende „Eine eigene Geschichte“.

Blumfeld und die lässige Nonchalance

Wahrscheinlich ging es vor 20 Jahren heftiger zu Sache, aber wen kümmert es? Das Gros des Publikums befindet sich wie die Bandmitglieder mitten in den 40ern, leidet unter Umständen an Tinnitus, die Verstärker müssen nicht mehr volle Lotte bis zur Verzerrung aufgedreht werden. Vielmehr entwickeln Blumfeld eine lässige Nonchalance, so dass sich der Chronist sogar mit den immer sehr skeptisch beäugten Schlager-Pop-Songs von Old Nobody, das am Rand des Kitschigen balancierende „Ein Lied von zwei Menschen“ sowie der Pop-Hymne „Kommst du mit in den Alltag“, mit einem hübschen Übergang zu Bob Dylans „You’re A Big Girl Now“ , anfreunden kann. Aber im Mittelpunkt steht natürlich L’Etat Et Moi, der Longplayer, der 1994 den Diskurs-Pop und die Hamburger Schule begründete und uns unzählige interpretationswürdige Texte lieferte, wie in „Sing Sing“, bei dem Distelmeyer mit dem stakkatoartigen Gesang selbstredend kaum hinterherkommt. Der erste Zugabenblock mit „Ghettowelt“, „Von der Unmöglichkeit ‚Nein‘ zu sagen, ohne sich umzubringen“, „Einfach So“ sowie „Superstarfighter“ ist dann natürlich Indie-Rock vom Allerfeinsten, eine bessere Wahl hätte die Band kaum treffen können. Und klar kommt da noch Blumfelds bester Song, „Verstärker“, der die Besucher endgültig in Euphorie versetzt. Schätzungsweise durchdringt der Groove von „Verstärker“ immer noch die Große Freiheit. Das war definitiv eine gute Idee, diese L’Etat Et Moi-Jubiläums-Originalbesetzung-Reunion-Tour. Und Ende Januar erscheint dann Otis, der erste Roman von Jochen Distelmeyer.

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